03.03.2004

Panische Massen und gefiederte Magnete

Regensburg erwartet fast 4.000 Physikerinnen und Physiker aus aller Welt.



Regensburg erwartet fast 4.000 Physikerinnen und Physiker aus aller Welt


Regensburg, 2. März 2004 - Ob die Festplatte von morgen, Optik mit Hightech, die Physik der Gene oder Metalle mit „Gedächtnis“ – verschiedenste Themen aus Forschung und Technik stehen im Mittelpunkt einer Frühjahrstagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG), die vom 8. bis 12. März 2004 an der Universität Regensburg stattfindet. Zum weltweit zweitgrößten Kongress mit dem Schwerpunkt „Festkörperphysik“ reisen fast 4.000 Fachleute aus Europa und Übersee in die Stadt an der Donau. Unter den Gästen: der deutsche Nobelpreisträger Wolfgang Ketterle und sein russisch-amerikanischer Kollege Alexei Abrikosov. In Regensburg ist außerdem die Physik sozio-ökonomischer Systeme vertreten. Deshalb zählen auch die Stauforschung sowie die Analyse von Massenpaniken zu den Themen, die während der Tagung diskutiert werden. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Biophysik. Hier geht es insbesondere um die molekulare Maschinerie der Zellen. Und auch dem allgemeinen Publikum hat die Tagung einiges zu bieten: öffentliche Vorträge behandeln zum einen die Frage „Sind wir allein im Universum?“, anderseits den natürlichen Magnetkompass der Vögel. Lehrerfortbildungen, eine Jobbörse und eine Ausstellung über die Geschichte der Vakuumforschung runden das Programm ab.

Nobelpreisträger Wolfgang Ketterle eröffnet die Tagung mit einem Vortrag über die „kälteste Materie des Universums“: das Bose-Einstein-Kondensat. Für seine Arbeiten auf diesem Gebiet wurde der deutsche Quantenforscher im Jahre 2001 mit dem Physik-Nobelpreis geehrt. In jüngster Zeit ist rund um die so genannten Quantengase, zu denen auch das Bose-Einstein-Kondensat gehört, einiges in Bewegung geraten. Von diesen Studien versprechen sich Wissenschaftler neue Erkenntnisse über die Supraleitung. Hierbei geht es um Materialien, die den elektrischen Strom verlustfrei transportieren (s. http://physicsweb.org/article/news/8/1/14).

Bei der Chip-Produktion stößt die Technik allmählich an ihre Grenzen. Um noch filigranere Schaltkreise herzustellen, werden die Ingenieure der Zukunft wohl auf neue Fertigungstechniken zurückgreifen müssen. Viele Wissenschaftler setzen dabei auf eine Kombination chemischer und physikalischer Verfahren. Der Methodenmix soll es ermöglichen, sogar einzelne Moleküle gezielt in Stellung zu bringen. Eine mögliche Route zu immer kleineren „Bits“ zeichnet am Mittwoch, dem 10. März, IBM-Forscher Thomas Theis. Titel seines Plenarvortrags: „Nanotechnology and the future of information technology“ (s. http://www.cio.com/archive/070102/et_pundits.html). Am Freitag, dem 12. März, spricht Paul Chaikin (Princeton University) ebenfalls über Fertigungsmethoden für die „Nanowelt“ (ein Nanometer ist ein millionstel Millimeter). Chaikins Team fand im Übrigen kürzlich heraus, dass sich Ellipsoide dichter als Kugeln packen lassen. Und dieses Ergebnis dürfte nicht nur Naschkatzen interessieren, die ihre Schokolinsen stapeln wollen. Es könnte auch beim Design hochdichter Werkstoffe weiterhelfen (s. http://physicsweb.org/article/news/8/2/8).

Während Computer-Ingenieure an immer schnelleren Schaltkreisen basteln, entwickelt die Festplatten-Industrie neue Archivierungsmedien für noch mehr Bytes. Über die Datengiganten der Zukunft berichtet am Freitag, dem 12. März, Dieter Weller vom Speicher-Spezialisten Seagate Technology (s. http://www.phys.put.poznan.pl/nato-arw02/pdf/Weller.pdf).

Mit einer kaum beachteten Fachpublikation erblickte 1954 die Solarzelle das Licht der Welt. Das Pentagon winkte damals ab: kein Interesse. Mit dem Sputnik-Schock sollte sich einiges ändern. Denn die Solarzelle entpuppte sich als ideale Energiequelle, um Satelliten mit Strom zu versorgen. Inzwischen wird sie auch auf dem Erdboden immer beliebter. Das Symposium „Fünfzig Jahre Solarzelle“ am Dienstag, dem 9. März, beleuchtet die aktuelle technische Entwicklung und diskutiert über die Solarzelle der Zukunft – ist sie vielleicht aus Kunststoff?

Um Physik und Technik geht es auch beim Industrietag, den der Ausschuss „Industrie und Wirtschaft“ am Donnerstag, dem 11. März, ausrichtet. Unter dem Leitmotiv „Optische Technologien / Photonik“ zeigen Industrieforscher wie Hightech-Sensoren das Autofahren sicherer machen und wo die moderne Optik noch zum Einsatz kommt. Die Veranstaltung schließt mit der Podiumsdiskussion „Photonik: Quo Vadis?“.

Weitere Einblicke in die Festkörperforschung bieten Beiträge über Nanopartikel (Symposium am 9. März), organische Halbleiter (Fachsitzung am 9. März) und Metalle mit „Memory-Effekt“ (Fachsitzung am 11. März). Aus solchen Werkstoffe werden zum Beispiel Gefäßstützen („Stents“) gefertigt. Der Pfiff: vor dem chirurgischen Eingriff ist die Gefäßstütze kompakt zusammengefaltet. Erst an Ort und Stelle nimmt sie aufgrund der Körperwärme ihre endgültige Gestalt an. Das Material „erinnert“ sich gewissermaßen an eine vorher eingeprägte Form.

Das Tagungsprogramm umfasst zudem Vorträge über Quantenpunkte (M. Bayer/Uni Dortmund, 9. März) und Kohlenstoff-Nanoröhren (W. Hoenlein/Infineon Technologies, 12. März). Außerdem stellen Dresdner Forscher das SupraTrans-Projekt vor. Ziel des Vorhabens ist die Entwicklung eines Fahrzeugs, das per Supraleitung in der Schwebe gehalten wird (O. de Haas/IFW Dresden, 9. März).

In Regensburg geht es ferner um die mikroskopischen Vorgänge, die das Leben in Schwung halten. Während die Nanotechnologie noch daran tüftelt, Motoren von molekularen Dimensionen herzustellen, ist die Natur schon längst soweit: In biologischen Zellen wandeln filigrane Proteingebilde chemische Energie in mechanische Arbeit um. Sie sorgen für Stofftransport, Fortbewegung, kopieren die Erbinformation und spielen auch bei der Zellteilung eine Rolle. Zahlreiche Tagungsbeiträge befassen sich mit dieser Thematik - darunter das Symposium „Life Sciences on the nanometer scale - physics meets biology“ am Mittwoch, dem 10. März. Ein weiteres Highlight ist der Plenarvortrag von David Nelson (Harvard University) am Dienstag, dem 9. März. Dabei geht es um die Physik der DNS – also um die Eigenschaften jenes Molekül, auf dem die Erbanlagen hinterlegt sind (s. http://physicsweb.org/article/world /16/3/1/1).

Kollektive Phänomene – ob Verkehrsfluss, Aktienkurse oder Panikmassen – stehen im Blickfeld des Arbeitskreises „Physik sozio-ökonomischer Systeme“ (AKSOE), der am Tagungsprogramm mit zahlreichen Beiträgen beteiligt ist. Darunter Vorträge, die sich mit der Ausbreitung von Epidemien oder der Wählerwanderung in Deutschland befassen. In dieses Fachgebiet fällt auch der Vortrag „The dynamics of information“ am Dienstag, dem 9. März. Der US-Forscher Bernardo Huberman (HP Labs) wird dabei beschreiben, wie sich Nachrichten in unserer modernen Gesellschaft verbreiten. Direkt im Anschluss verleiht der AKSOE den „Young-Scientist Award for Socio- and Econophysics“. Dieser internationale Nachwuchspreis ist mit 5.000 Euro dotiert, gestiftet von der Unternehmensberatung McKinsey & Company. In diesem Jahr geht die Auszeichnung an Illes Farkas (25) von der Eötvös University in Budapest. Der ungarische Physiker untersucht das Verhalten von Menschenmassen mithilfe von Computersimulationen. In Farkas’ Arbeitsgebiet fallen Paniksituationen und auch die berühmten „La-Ola-Wellen“, die bei Fußballspielen immer wieder durch die Stadien schwappen. Die Grundlagen für diese Studien entstammen der Vielteilchenphysik. Wie geraten bei einem Schiffsunfall die Passagiere möglichst rasch von Bord? Wie sollte der Evakuierungsplan für eine Sportarena aussehen? Bei Farkas’ Forschung geht es letztlich auch um solche Fragen (s. http://angel.elte.hu/wave).

Auf einer Festsitzung am Mittwoch, dem 10. März, erhält Frank Steglich (62), Dresdner Experte für Supraleitung, die höchsten Auszeichnung der DPG für experimentelle Physik: die Stern-Gerlach-Medaille. Außerdem wird der Hamburger Nanowissenschaftler Markus Morgenstern (37) mit den Walter-Schottky-Preis für Festkörperforschung ausgezeichnet. Dieser Preis wird von Siemens und Infineon Technologies gefördert und ist mit 15.000 Euro dotiert (s. Pressemitteilung der DPG 25-2003). Den Festvortrag „Und sie bewegt sich doch!  - Wie man eine richtig gute Universität macht“ hält Jürgen Mlynek, Präsident der Berliner Humboldt-Universität.

Nach dem enttäuschenden Abschneiden deutscher Schülerinnen und Schüler im internationalen Bildungsvergleich schrillen hierzulande die Alarmglocken: um Lesen und Schreiben, Mathematik und Naturwissenschaften ist es in unseren Klassenzimmern nicht zum Besten bestellt. Wie lässt sich etwa der Physik-Unterricht effektiver und attraktiver gestalten? Denkanstöße bieten die „Lehrertage“ am 10., 12. und 13. März. Im Rahmen dieser kostenfreien Fortbildung können sich Lehrerinnen und Lehrer über aktuelle Themen aus Physik und Didaktik informieren. Zu den Veranstaltungen am 10. März sind auch Schülerinnen und Schüler besonders willkommen. Auf dem Programm stehen ein Vortrag mit Live-Experimenten und die Mitmach-Show der „Physikanten“ - sie mixen Wissenschaft und Comedy zu einem äußert vergnüglichen Cocktail.

Neben zahlreichen Fachbeiträgen bietet das Tagungsprogramm auch zwei öffentliche Abendvorträge im Audimax der Universität Regensburg. Beide Vorträge beginnen jeweils um 20:00 Uhr, der Eintritt ist frei. Unter dem Titel „Magnetorientierung bei Vögeln“ spricht am 10. März Wolfgang Wiltschko (Universität Frankfurt a. M.) über den „Kompass“, mit dessen Hilfe Zugvögel den Weg nach Süden und Brieftauben zurück in den heimischen Taubenschlag finden. Und am 11. März wirft Harald Lesch (LMU München) die Frage auf: „Sind wir allein im Universum?“. Der Philosoph und Astrophysiker moderiert die Sendung „ALPHA CENTAURI“ im Bayerischen Fernsehen.

Zum öffentlichen Begleitprogramm zählen außerdem die Kunstaktion „Grenzflächen - ästhetische Aspekte der Physik“ sowie die Ausstellung „Vakuum und die Anfänge der Physik in Regensburg“. Und ein weiteres Bonbon: auf eine Zeitreise zu den Anfängen der Vakuumforschung lädt eine Vorführung vor dem Zentralgebäude der Universität Regensburg ein. Unter dem Motto „Vakuum live“ werden wissenschaftliche Versuche aus dem 17. Jahrhundert vorgeführt. Sie gehören zu jenen Schauexperimenten, mit denen Otto von Guericke einst die Existenz von Vakuum und Luftdruck demonstrierte. Die Vorführung beginnt am 8. März, um 13:00 Uhr.


Quelle: DPG Pressestelle


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