08.09.2020

Phobos lässt Seismometer wackeln

Marsmond zeigt überraschenden Einfluss auf Messungen der InSight-Mission.

Steht man auf dem Mars, kann man den Mond Phobos beobachten, wie er alle fünf Stunden den Planeten von West nach Ost umkreist. Seine Bahn verläuft so, dass er an jedem Ort auf dem Mars etwa einmal pro Erdenjahr direkt vor der Sonne vorbeizieht. Es kommt jeweils innerhalb von drei Tagen zu einer bis sieben Sonnen­finsternissen, so auch am Landeplatz der NASA-Sonde InSight, die seit November 2018 in der Region „Elysium Planitia“ steht. Das Phänomen ist also viel häufiger als auf der Erde, wenn unser Mond die Sonne verdunkelt. „Allerdings sind die Eklipsen auf dem Mars kürzer, sie dauern nur dreißig Sekunden und die Bedeckung ist nie vollständig“, erklärt Simon Stähler, Seismologe am Institut für Geophysik der ETH Zürich. Fotos der Nasa-Marsrover Opportunity und Curiosity zeigen denn auch einen kantigen Brocken, der vor der Sonne hängt.
 

Abb.: Seismometer auf dem Mars: Verdunkelt der Mond Phobos die Sonne, kippt das...
Abb.: Seismometer auf dem Mars: Verdunkelt der Mond Phobos die Sonne, kippt das Seismo­meter kaum messbar zur Seite und registriert so den Transit des Mondes vor der Sonne. (Bild: NASA / JPL)

Doch diese Transits lassen sich nicht nur auf Bildern beobachten. „Auf der Erde misst man bei einer Sonnen­finsternis einen Temperaturabfall und rasche Windböen, weil die Atmosphäre jeweils an einer Stelle kälter wird und und sich die Luft von dort weg bewegt“, erklärt Stähler. Eine Analyse der Daten von InSight sollte zeigen, ob ähnliche Effekte auch auf dem Mars nachweisbar sind.

Im April 2019 war vom Landeplatz der NASA-Sonde eine erste Serie von Sonnen­finsternissen zu sehen, doch nur ein Teil der damals gemessenen Daten wurde gespeichert. Sie lieferten erste Hinweise, so dass sich Stähler und eine internationale Gruppe von Forschern gespannt auf die nächste Finsternis-Serie am 24. April 2020 vorbereiteten. 

Wie erwartet registrierten die Solarzellen von InSight die Transits. „Steht Phobos vor der Sonne, gelangt weniger Sonnenlicht auf die Solarzellen und diese produzieren dadurch weniger Strom“, erklärt Stähler. „So lässt sich der Abfall bei der Lichteinstrahlung durch die Bedeckung messen.“ Tatsächlich sank die Sonnen­einstrahlung während einer Finsternis um dreißig Prozent. Die Wetterstation von InSight jedoch zeigte keine atmosphärischen Veränderungen. Die Winde drehten nicht wie erwartet. Dafür sorgten andere Instrumente für eine Überraschung: Sowohl das Seismometer wie auch das Magnetometer maßen einen Effekt.

Das Signal des Magnetometers lässt sich höchstwahrscheinlich auf den Stromabfall in den Solarzellen zurückführen, wie Anna Mittelholz zeigte, die kürzlich dem Mars-Team der ETH beigetreten ist. „Das Seismometer-​Signal haben wir jedoch nicht erwartet, es ist eine Kuriosität“, sagt Stähler. Normalerweise zeichnet das Instrument, dessen Elektronik an der ETH entwickelt wurde, Beben auf dem Planeten auf. Bisher hat der Mars­beben­dienst, der von John Clinton und Domenico Giardini an der ETH geleitet wird, rund vierzig klassische Beben registriert, wobei die stärksten eine Magnitude von 3,8 aufwiesen, dazu mehrere Hundert regionale, flache Beben.

Die Überraschung während der Sonnenfinsternis: Das Seismometer kippte ein wenig in eine bestimmte Richtung. „Die Neigung ist wirklich äußerst gering“, erklärt Stähler: „Stellen Sie sich ein Fünf­franken­stück vor und schieben Sie auf der einen Seite zwei Silberatome darunter.“ So klein dieser Effekt war, so eindeutig messbar zeigte er sich. „Die banalste Erklärung wäre, dass die Anziehungskraft von Phobos dafür verantwortlich ist, so wie der Erdmond die Gezeiten verursacht“, sagt Stähler, „doch dies kann man schnell ausschließen.“ Denn dann müsste das Seismometer-Signal alle fünf Stunden, wenn Phobos vorbeizieht, für eine längere Dauer messbar sein. Die wahrscheinlichste Ursache für das Kippen: „Während der Finsternis kühlt sich der Boden ab. Er verformt sich ungleichmäßig und löst so die Neigung aus“, so Martin van Driel von der Gruppe für Seismologie und Wellenphysik.

Tatsächlich registrierte ein Infrarotsensor auf dem Mars eine Abkühlung des Bodens von zwei Grad. Berechnungen zeigten, dass die Kältewelle während dreißig Sekunden zwar nur Mikro- bis Millimeter tief in den Boden eindringt, doch dieser Effekt hat die richtige Größen­ordnung, um das Kippen zu verursachen.

Eine Beobachtung auf der Erde stützt Stählers Theorie. Am Black Forest Observatory in einer alten Silbermine im Schwarzwald entdeckte Rudolf Widmer-Schnidrig ein ähnliches Phänomen: Beim Test eines Seismometers wurde versehentlich das Licht nicht ausgeschaltet. Es zeigte sich, dass die Wärme­strahlung einer 60-Watt-Glühbirne ausreichte, um den Granit tief in der Erde an seiner obersten Schicht zu erwärmen, so dass sich dieser ein wenig ausdehnte und das Seismometer eine kleine Verschiebung zur Seite anzeigte.

Das winzige Kipp-Signal vom Mars könnte dazu verwendet werden, die Bahn von Phobos genauer als bisher möglich zu bestimmen. Denn die Position von InSight ist der am präzisesten vermessene Ort auf dem Mars. Weiß man, wann hier ein Phobos-Transit genau beginnt und endet, lässt sich die Umlaufbahn des Mondes exakt berechnen. Dies ist für künftige Raumfahrt­missionen wichtig. So will die japanische Raumfahrt­organisation JAXA im Jahr 2024 eine Sonde zu den Marsmonden schicken und Proben von Phobos zur Erde zurückholen. „Dafür muss man wissen, wo man genau hinfliegen will“, sagt Stähler.

Präzise Bahndaten von Phobos könnten aber auch mehr Aufschluss über das Innere von Mars geben. Während unser Mond an Drehimpuls gewinnt und sich kontinuierlich von der Erde entfernt, wird Phobos langsamer und nähert sich dem Mars, bis er in dreißig bis fünfzig Millionen Jahren auf den Planeten stürzen wird. „Diese leichte Verlangsamung können wir benutzen, um abzuschätzen, wie elastisch und damit wie heiß der Mars in seinem Innern ist, denn kaltes Material ist immer elastischer als heißes“, erklärt Amir Khan, ebenfalls vom Institut für Geophysik der ETH. Letztlich möchten die Forscher wissen, ob der Mars aus dem gleichen Material geformt wurde wie die Erde oder ob unterschiedliche Bausteine eine Erklärung dafür liefern können, dass es auf der Erde eine Platten­tektonik, eine dichte Atmosphäre und lebens­freundliche Bedingungen gibt – Dinge, die auf dem Mars fehlen. 

ETHZ / DE
 

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