21.06.2011

Platzende Ballons – Retardierung in der Mechanik

Die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit einer Störung führt zu einer verzögerten Wirkung. Dieses Phänomen nennt man in der Physik Retardierung. Am häufigsten werden retardierte elektromagnetische Felder oder Potentiale in der Elektrodynamik behandelt. Auch in der Mechanik sind solche Verzögerungseffekte bei der Schallausbreitung in Luft oder Gasen ohne weiteres wahrnehmbar, beispielsweise beim Echo. Deutlich schwieriger beobachtbar sind sie in der Mechanik nichtgasförmiger Materialien. Hochgeschwindigkeitskameras zeigen dieses Phänomen auf beeindruckende Weise.

Ein schönes Beispiel ist das Zerreißen eines Luftballons. Um ihn berührungslos zum Platzen zu bringen, haben wir einen 150 mW starken, grünen Laser auf die Außenhaut gerichtet. Die Absorption der Strahlung durch die rote Gummihaut führt je nach Material und Dehnung des Ballons zumeist innerhalb von 50 ms zum Aufreißen. Die Abbildung zeigt den weiteren Ablauf mit einer Bildwiederholrate von 1000 Bildern pro Sekunde.

Ein roter Luftballon wird mit einem grünen Laser zum Platzen gebracht.

In der Abbildung sind bei t = 0 der Reflex des Laserstrahls sowie zwei Weißlichtreflexe der verwendeten Halogenstrahler erkennbar. Direkt im Anschluss hat der Laserstrahl ein Loch in die Haut gebrannt, und ein Riss breitet sich durch die Ballonhaut aus. Man erkennt eine asymmetrische Rissbildung: Entlang der Horizontalen reißt die Haut etwas schneller als senkrecht dazu - wahrscheinlich abhängig von der Orientierung der Polymerstrukturen in der Gummihaut. Bei t = 6 ms erkennt man die Weißlichtreflexe auf der inneren, jetzt freigelegten und noch gut gespannten Ballonhaut. Auf den Folgebildern wird dieser Reflex undeutlicher und verschwindet schließlich ganz.

Offensichtlich ist auch noch 6 ms nach Beginn des Platzens die hintere innere Luftballonhaut gespannt, das heißt die Information, dass der Ballon bereits auf der Vorderseite gerissen ist, hat diese Stelle noch nicht erreicht. Diese Retardierung kommt durch die endliche Rissgeschwindigkeit zustande, die im Allgemeinen etwa der Schallgeschwindigkeit im Material entspricht. Nur in Ausnahmefällen breiten sich Risse in festen Materialien mit Überschallgeschwindigkeit aus.

Die Schallgeschwindigkeit im Gummi lässt sich theoretisch abschätzen durch v = (E/ρ)1/2 mit dem Elastizitätsmodul E und der Dichte ρ. Dichten von Gummi liegen bei etwa 0,9 bis 0,92 g/cm3. Das Elastizitätsmodul hängt von der Temperatur und vom Schwefelanteil ab, der den Grad der Vernetzung der Kettenmoleküle untereinander (Vulkanisierung) bestimmt. Für 20 °C und Schwefelanteile von etwa 20 % erreicht E Werte von 107 bis 108 N/m2 [1]. Damit erwartet man Schallgeschwindigkeiten im Bereich von 100 m/s bis etwa 330 m/s.

Im unserem Experiment kann man abschätzen, dass sich der Riss in etwa 6 ms um fast den halben Umfang ausbreitet, entsprechend einer Geschwindigkeit von etwa 120 m/s.

In weiteren Tests wurden auch kleinere Ballons anderer Hersteller mit einer besseren Zeitauflösung von 4000 Bildern pro Sekunde untersucht. Hier breitete sich der Riss vertikal mehr als doppelt so schnell aus wie horizontal. Eine Analyse der Bilder ergab eine maximale Geschwindigkeit von etwa 295 m/s. Diese hängt auch vom Innendruck des Ballons ab: Je höher der Druck, desto stärker die Hautspannung. Dadurch nimmt die Dichte der Haut ab, und die Geschwindigkeit steigt.

Prinzipiell sind auch andere Versuche zur Retardierung mit Hochgeschwindigkeitskameras denkbar. Es muss nur darauf geachtet werden, dass während der Verzögerungszeit in der Größenordnung von Millisekunden genügend große Veränderungen im Experiment stattfinden.

[1] Gerthsen Physik, C. Gerthsen, D. Meschede, 22. Auflage, Springer Verlag, Heidelberg 2004, Kap. 16.6.3 Gummielastizität.

Michael Vollmer, Klaus-Peter Möllmann, FH Brandenburg

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