Präzisionstherapie mit Mikroblasen
Kleine Gasbläschen können unter Ultraschall Medikamente gezielt in Zellen transportieren.
Die gezielte Behandlung von Hirnerkrankungen wie Alzheimer, Parkinson oder Hirntumoren ist herausfordernd, weil das Gehirn als besonders empfindliches Organ gut geschützt ist. Forscher arbeiten darum an Ansätzen, wie sie Medikamente über den Blutkreislauf gezielt ins Gehirn transportieren können. Dabei soll die Blut-Hirn-Schranke überwunden werden, die normalerweise nur bestimmte Nährstoffe und Sauerstoff durchlässt.

Ein besonders vielversprechender Therapieansatz sind Mikroblasen, die auf Ultraschall reagieren. Diese Bläschen sind kleiner als rote Blutzellen, gefüllt mit Gas und bestehen zu ihrer Stabilisierung aus einer speziellen Hülle aus Fettmolekülen. Sie werden zusammen mit dem Medikament in die Blutbahn injiziert und am Zielort durch Ultraschall aktiviert. Aufgrund der Bewegung der Mikroblasen entstehen in der Zellmembran der Blutgefäßwand winzige Poren, durch die das Medikament eindringen kann.
Wie genau die Mikroblasen diese Poren erzeugen, war bisher unklar. Forscher der ETH Zürich konnten nun erstmals demonstrieren, wie dieser Mechanismus funktioniert. „Es gelang uns zu zeigen, dass sich die Mikroblasen unter Ultraschall verformen, sodass winzige Flüssigkeitsstrahlen, Mikrojets, entstehen. Diese durchdringen die Zellmembran“, erklärt Marco Cattaneo von der ETH.
Bisher war nicht bekannt, wie die Poren in der Zellmembran entstehen, denn die Mikroblasen sind mikrometrisch klein und vibrieren unter Ultraschallbestrahlung bis zu mehreren Millionen Mal pro Sekunde. Dieser Prozess ist äußerst schwierig zu beobachten und erfordert einen speziellen Aufbau im Labor. „Die meisten bisherigen Studien haben den Vorgang durch ein herkömmliches Mikroskop von oben herab betrachtet. Damit sieht man aber nicht, was zwischen Mikroblase und Zelle passiert“, sagt Cattaneo. Deshalb haben die Forscher ein Mikroskop mit zweihundertfacher Vergrößerung gebaut, mit dem sich der Prozess von der Seite beobachten lässt, und haben es mit einer sehr schnellen Kamera gekoppelt, die bis zu zehn Millionen Bilder pro Sekunde macht.
Für ihr Experiment ahmten sie die Blutgefäßwand mit einem In-vitro-Modell nach: Sie ließen Gefäßwandzellen auf einer Kunststoffmembran wachsen. Diese legten sie mit den Zellen nach unten als Deckel auf eine Box mit durchsichtigen Wänden, die mit einer Kochsalzlösung und einem Modellmedikament gefüllt war. Die gasgefüllte Mikroblase stieg automatisch auf und kam mit den Zellen in Kontakt. Die Mikroblase wurde dann durch einen Ultraschallimpuls von wenigen Mikrosekunden Dauer in Schwingung versetzt.
„Bei genügend hohem Ultraschalldruck schwingen die Mikroblasen nicht mehr kugelförmig, sondern verformen sich zu regelmäßigen, nicht kugelförmigen Mustern“, erklärt Outi Supponen von der ETH. Die „Lappen“ dieser Muster schwingen zyklisch, tauchen nach innen ein und ragen nach außen. Die Forscher fanden heraus, dass die nach innen gefalteten Lappen ab einem bestimmten Ultraschalldruck so tief einsinken können, dass sie starke Strahlen erzeugen, die die gesamte Blase durchqueren und auf die Zelle treffen.
Diese Mikrojets bewegen sich mit der unglaublichen Geschwindigkeit von zweihundert Kilometern pro Stunde und können die Zellmembran wie ein gezielter Nadelstich durchdringen, ohne die Zelle zu zerstören. Dieser Strahlmechanismus führt nicht zur Beschädigung der Blase, sodass sich bei jedem Ultraschallzyklus ein neuer Mikrojet bilden kann.
„Ein faszinierender Aspekt ist, dass dieser Ausstoßmechanismus bei niedrigen Ultraschalldrücken von etwa hundert Kilopascal ausgelöst wird“, sagt Supponen. Das bedeutet, dass der Ultraschalldruck, der auf die Mikroblasen und damit auf den Patienten wirkt, vergleichbar ist mit dem atmosphärischen Luftdruck, der uns ständig umgibt.
Die Forscher haben nicht nur visuelle Beobachtungen gemacht, sondern diese auch mit verschiedenen theoretischen Modellen erklärt. Sie konnten zeigen, dass die Mikrojets im Vergleich zu den vielen anderen Mechanismen, die in der Vergangenheit vorgeschlagen wurden, das weitaus größte Schädigungspotenzial haben. Dies stützt die Beobachtung der Forscher, dass die Zellmembran nur bei der Erzeugung eines Mikrojets zerstört wird.
„Mit unserem Laboraufbau haben wir nun einen besseren visuellen Zugang zu den Mikroblasen und können die Interaktion zwischen Zellen und Mikroblasen genauer charakterisieren“, so Cattaneo. So lässt sich beispielsweise auch die Reaktion neuer Formulierungen von Mikroblasen auf Ultraschall, die von anderen Forschern entwickelt wurden, mit diesem System untersuchen.
„Unsere Arbeit klärt die physikalischen Grundlagen der gezielten Medikamentenverabreichung durch Mikroblasen und hilft uns Kriterien für deren effektiven und sicheren Einsatz zu definieren“, betont Supponen. Das bedeutet, dass die richtige Kombination von Frequenz, Druck und Größe der Mikroblasen dazu beitragen kann, den Therapieerfolg zu maximieren und gleichzeitig die Sicherheit zu erhöhen sowie das Risiko für die Patienten zu minimieren.
„Außerdem konnten wir zeigen, dass schon wenige Ultraschallimpulse ausreichen, um eine Zellmembran zu perforieren. Auch das kommt dem Patienten zugute“, sagt Supponen. Umgekehrt lässt sich auch die Beschichtung der Mikroblasen für die benötigte Ultraschallfrequenz optimieren, was die Bildung von Mikrojets erleichtert.
ETH Zürich / RK