10.05.2021

Wie mRNA-Medikamente sicher in die Zelle kommen

Lipid-Nanopartikel mit Hilfe von Neutronenexperimenten optimiert.

Spätestens, seit die ersten mRNA-Impfstoffe gegen das SARS CoV2-Virus in Deutschland zugelassen sind, ist der Begriff mRNA auch über Fachkreise hinaus bekannt. Weniger bekannt ist, dass sich mit Hilfe der „Boten-RNA” nicht nur Impfstoffe herstellen lassen. Rund fünfzig Verfahren zur Behandlung von Krankheiten, darunter Krebs­erkrankungen, werden bereits in klinischen Studien untersucht. Forscher des Pharma-Unternehmens AstraZeneca haben nun mit Unterstützung von Neutronen­forschern des Forschungs­zentrums Jülich herausgefunden, wie sich die subkutane Verabreichung von mRNA verbessern lässt. Ziel ist, dass chronisch kranke Patienten sich den Wirkstoff regelmäßig selbstständig verabreichen können.

 

Abb.: Aurel Radulescu am KWS-2-Instrument in der Neutronen­leiterhalle am FRM...
Abb.: Aurel Radulescu am KWS-2-Instrument in der Neutronen­leiterhalle am FRM II in Garching. (Bild: W. Schürmann / TUM)

mRNA dient in unseren Zellen als Blaupause für die Produktion von Eiweißmolekülen. mRNA-Medikamente könnten deshalb Proteine direkt im Körper des Patienten entstehen lassen, gezielt an der Stelle, wo sie benötigt werden. Neben Krebsleiden sind viele weitere Krankheiten potentiell behandelbar: Bluter­kranke etwa, bei denen die Produktion eines Gerinnungs­faktors gestört ist, können durch Verabreichung der Blaupause für eben diesen Faktor therapiert werden. Nach Herz­infarkten oder Schlaganfällen könnte injizierte mRNA die Bildung von Proteinen ermöglichen, die neue Blutgefäße wachsen lassen.

Im Vergleich zu den derzeitigen Therapeutika ist die Produktion von mRNA schneller und flexibler möglich, da mRNA leicht hergestellt werden kann und der Prozess unabhängig von der mRNA-Sequenz ist. Darüber hinaus ermöglicht die Technologie, schnell personalisierte Medikamente zu entwickeln, und Proteine im Körper über einen längeren Zeitraum und mit ansonsten schwer zu realisierenden Modifikationen herzustellen.

mRNA wird im Körper rasch von allgegenwärtigen Enzymen abgebaut. Es gilt zu verhindern, dass dies passiert, bevor die mRNA die Zellen erreicht, in denen die Protein­synthese stattfindet. Zudem muss sichergestellt sein, dass der Botenstoff in die richtigen Zellen gelangt und dies in ausreichender Menge. Auch wenn es Verfahren gibt, bei denen die „nackte” mRNA verabreicht wird, sind eine sichere Verpackung und eine Art Adress­aufkleber weitaus effizienter.

Ein fortschrittliches Verpackungs­system sind Lipid-Nanopartikel (LNP), winzige Bläschen aus einer Mischung unterschiedlicher fettartiger Substanzen. Jede von ihnen erfüllt eine spezielle Aufgabe, etwa die Stabilisierung des Konstrukts oder die Auslieferung in die Zelle.

Bei intravenöser oder intramuskulärer Verabreichung erfüllen die LNP ihre Zwecke bereits ausreichend gut. Unter die Haut verabreicht lösen die LNP jedoch eine signifikante Entzündung aus. Diese subkutane Anwendung wäre Voraussetzung, dass Patienten sich selbst das Medikament spritzen könnten, so wie Diabetes-Patienten es mit Insulin können. Vor allem für chronische Krankheiten, bei denen regelmäßige Gaben des Medikaments nötig sind, wäre das von Vorteil.

Bisher können jedoch nur geringe, unzureichende Mengen sicher subkutan injiziert werden. Wie sich das Problem lösen lässt, zeigen die aktuellen Untersuchungen der Forscher von AstraZeneca und vom Jülich Centre for Neutron Science (JCNS). Die Forscher ergänzten dabei die mRNA-Verpackungen um Vorstufen von entzündungs­hemmenden Substanzen aus der Klasse der Steroide. Körpereigene Enzyme können diese Vorstufen an Ort und Stelle der Injektion in wirksame Steroide umwandeln.

Steroide wirken stark entzündungshemmend, können jedoch erhebliche Nebenwirkungen haben, vor allem bei regelmäßiger Einnahme. Diese Nebenwirkungen können minimiert werden, indem ein Steroid-Vorläufer in das LNP eingebaut wird, so dass er nur an der Stelle abgegeben und aktiviert wird, an der er benötigt wird, also an der Stelle, an der die LNPs injiziert werden.

Jedoch muss dabei sichergestellt werden, dass die Steroid-Vorstufen für die Enzyme zugänglich sind. Deshalb müssen sie im Außenbereich der Lipid-Nanopartikel lokalisiert sein. Dies versuchten die Forscher zu gewährleisten, indem sie den Wirkstoffen kürzere oder längere fett­liebende Fortsätze anbauten. Die fettliebenden Bereiche, so die Idee, sollten sich so zwischen die fettigen Substanzen der LNP-Hüllschicht einlagern, dass die Steroid-Vorstufen an der Außenseite zu liegen kommen. Dass dies tatsächlich der Fall ist, wiesen die Forscher mit Hilfe von Neutronen­streu­untersuchungen am Kleinwinkel­streu­instrument KWS-2 nach, das das JCNS an seiner Außenstelle am Heinz Maier-Leibnitz Zentrum in Garching betreibt.

„An der KWS-2 lassen sich feine Strukturen bis hin zu Nanostrukturen mit einem speziellen Anfärbe­verfahren untersuchen”, erläutert der JCNS-Instrument­wissenschaftler Aurel Radulescu. „Dabei werden Wasserstoff­atome einzelner Komponenten gegen schweren Wasserstoff ausgetauscht. Die physikalische Chemie der Probe ändert dies nicht, wohl aber die Sichtbarkeit für die Neutronen. Die Neutronen können die beiden Isotope voneinander unterscheiden und so erkennen, welche Wasserstoff­atome zu welchem Molekül gehören.“ So lassen sich die verschiedenen Bestandteile der Lipid-Nanopartikel gezielt anfärben und voneinander unterscheiden. Und tatsächlich fanden die Forscher die Steroid-Vorstufen außen an den Partikeln, zumindest bei längeren Fortsätzen.

„Das Verständnis, wie die LNP-Oberfläche aussieht, ist von grundlegender Bedeutung auch für weitere Fragen, die die LNP-Entwicklung betreffen”, ergänzt Marianna Yanez Arteta, leitende Wissenschaftlerin im Bereich „Advanced Drug Delivery” bei AstraZeneca. „Neutronen­streuung in Kombination mit selektivem Isotopen­kontrast ist meines Wissens die einzige verfügbare Technik, mit der wir die Lipid­verteilung untersuchen und die Oberfläche auflösen können.”

Weitere Studien im Labor von AstraZeneca bestätigten die entzündungs­hemmende Wirkung der neuen LNP-Varianten. Die Forscher untersuchten dabei auch, welche Länge des fett­liebenden Stiels ein optimales Verhältnis zwischen Effizienz der mRNA-Auslieferung und Entzündungs­reaktion gewährleistet. „Der Einbau einer entzündungs­hemmenden Komponente in die LNP vereinfacht die Therapie erheblich und kann sie für andere Indikationen öffnen“, prognostiziert Yanez Arteta. Wenn sich die entzündungs­hemmenden LNP nun auch beim Einsatz am Menschen bewähren, sollten sie also neue Therapie­möglichkeiten für eine Vielzahl von Krankheiten ermöglichen.

FZJ / DE

 

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