Quantenanalog zum Einsteinschen Äquivalenzprinzip
Experiment legt Basis zur Entwicklung neuer Sensoren in der Geodäsie.
In einem sagenumwobenen Versuch ließ der italienische Wissenschaftler Galileo Galilei im 16. Jahrhundert Kugeln unterschiedlicher Masse vom Schiefen Turm von Pisa fallen. Damit soll er gezeigt haben, dass unter dem Einfluss der Gravitation verschiedene Körper mit derselben Beschleunigung fallen. Die Weiterentwicklung der Kernidee des Galileischen Versuchs durch Albert Einstein, Einsteins Äquivalenzprinzip, führte zur Entstehung einer der Grundsäulen moderner Naturwissenschaft, der Relativitätstheorie.
Abb.: Ein internationales Physikerteam bestätigte die Gültigkeit des Äquivalenzprinzips mit einer relativen Genauigkeit von einigen Milliardstel. (Bild: M. Tino, U. Florenz)
Nun hat ein internationales Team um Guglielmo Tino von der Universität Florenz ein Experiment realisiert, das als Quantenanalog des legendären Galileischen Tests betrachtet werden kann. Mit der Expertise von theoretischen Physikern der Universität Wien, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Universität Queensland konnten die Forscher Aspekte der Relativitätstheorie und der Quantenphysik kombinieren, und so ein Schema zur Messung des Einsteinschen Äquivalenzprinzip für ein Quantensystem entwickeln und im Experiment testen.
In der klassischen Physik beschreibt die berühmte relativistische Formel E=mc2, wie die Gesamtmasse eines Systems von seiner Energie abhängt. Im Gegensatz zur klassischen Theorie muss in der Quantentheorie ein System jedoch nicht immer eine bestimmte Energie haben. Es kann gleichzeitig zwei oder mehrere unterschiedliche Energiezustände in einer Quantensuperposition einnehmen. Ein Quantensystem kann daher verschiedene Masse-Energien in Superposition aufweisen. Im aktuellen Versuch maßen die Forscher die durch die Gravitation verursachte Beschleunigung von Rubidium-Atomen. Diese waren von den Physikern in Quantensuperpositionen von verschiedenen inneren Energien gebracht und mittels Laserlicht auf außerordentlich niedrige Temperaturen nahe dem Absoluten Nullpunkt gekühlt worden.
Um ihre Messungen durchzuführen, verwendeten die Wissenschafter ein neues Schema, das in der Gruppe in Florenz entwickelt wurde und auf einem Braggschen Atominterferometer beruht. Das Experiment bestätigte die Gültigkeit des Äquivalenzprinzips für Quantensuperpositionen mit einer relativen Genauigkeit von einigen Milliardstel. „Das Experiment zeigt, dass die Körper, die keine wohl definierte Masse-Energie haben, in derselben Art und Weise fallen, wie jene mit einer bestimmten Masse-Energie. Damit ist die Gültigkeit des Einsteinschen Äquivalenzprinzips im Bereich der Quantenphysik überprüft“, fasst Caslav Brukner zusammen.
Das im Experiment umgesetzte Schema kann zur Entwicklung neuer Sensoren mit vielfältigen Anwendungen führen: in der Geodäsie, in Studien über Vulkanausbrüche und Erdbeben, bei der Suche nach Mineralvorkommen, in der Trägheitsnavigation sowie bei Präzisionsmessungen von Zeit, Frequenzen, Beschleunigungen und Rotationen, um die grundlegenden Gesetze der Physik auf der Erde und im Weltall zu testen.
U Wien / JOL