Quantensimulator für Ladungsträger-Paare
Mikroskopischer Einblick in Prozesse unkonventioneller Supraleiter.
Forschende am Max-Planck-Institut für Quantenoptik (MPQ) haben mit Hilfe einer Quantensimulation Paare von Ladungsträgern sichtbar gemacht, die möglicherweise für den widerstandslosen Stromtransport in Hochtemperatur-Supraleitern sorgen. Bislang sind die genauen physikalischen Mechanismen in diesen komplexen Werkstoffen noch weitgehend unbekannt. Theorien gehen davon aus, dass die Ursache für die Paarbildung und damit für das Phänomen der Supraleitung in magnetischen Kräften liegt. So entstandene Paare konnte das Team in Garching nun zum ersten Mal experimentell nachweisen. Die Grundlage dafür bildete eine gitterförmige Anordnung von kalten Atomen sowie ein trickreiches Unterdrücken der Bewegung freier Ladungsträger.
Seit der Entdeckung von Hochtemperatur-Supraleitern vor rund vierzig Jahren versuchen Wissenschaftler, deren grundlegenden quantenphysikalischen Mechanismen auf die Spur zu kommen. Doch immer noch geben die komplexen Materialien Rätsel auf. Die neuen Erkenntnisse erlauben nun einen ersten mikroskopischen Einblick in Prozesse, die unkonventionellen Supraleitern zu Grunde liegen können. Entscheidend für jede Art von Supraleitung ist die Bildung von fest verknüpften Paaren aus Ladungsträgern – Elektronen oder Löchern, wie Orte fehlender Elektronen genannt werden. „Die Ursache dafür liegt in der Quantenmechanik“, erklärt Sarah Hirthe: Jedes Elektron oder Loch trägt einen halbzahligen Spin. Auch Atome besitzen einen Spin. Aus quantenstatistischen Gründen können sich aber nur Partikel mit ganzzahligem Spin unter bestimmten Bedingungen widerstandlos durch ein Kristallgitter bewegen. „Deshalb müssen sich Elektronen oder Löcher dazu paarweise zusammenfügen“, sagt Hirthe.
In konventionellen Supraleitern helfen Gitterschwingungen, die Phononen, bei der Paarung. In nichtkonventionellen Supraleitern dagegen ist ein anderer Mechanismus wirksam – aber die Frage, welcher das ist, blieb bisher unbeantwortet. „In einer weit verbreiteten Theorie spielen indirekte magnetische Kräfte eine entscheidende Rolle“, berichtet Sarah Hirthe. „Doch das ließ sich bislang nicht experimentell bestätigen.“ Um die Vorgänge in solchen Materialien besser zu verstehen, nutzten die Forschenden einen Quantensimulator.
Dazu ordneten sie ultrakalte Atome im Vakuum mit Laserlicht so an, dass sie die Elektronen in einem vereinfachten Festkörpermodell, simulieren. Dabei arrangierten sich die Spins der Atome abwechselnd in entgegengesetzte Richtungen: Es entstand eine antiferromagnetische Struktur, die charakteristisch ist für viele Hochtemperatur-Supraleiter – und durch magnetische Kräfte stabilisiert wird. Anschließend dotierte das Team dieses Modell, indem es weniger Atome im System zuließ, als es Plätze gibt. So gelangten Löcher in die gitterförmige Struktur.
Dem Team ist es nun gelungen zu zeigen, dass die magnetischen Kräfte tatsächlich zu Paaren führen. Dazu nutzten sie einen experimentellen Trick. „Bewegliche Ladungsträger in einem für Hochtemperatur-Supraleiter typischen Festkörper, unterliegen einem Wettstreit verschiedener Kräfte“, erklärt Hirthe. Zum einen haben sie den Drang, sich auszubreiten, also möglichst überall gleichzeitig zu sein. Das verschafft ihnen einen energetischen Vorteil. Zum anderen sorgen magnetische Wechselwirkungen für eine regelmäßige Anordnung der Spinzustände von Atomen, Elektronen und Löchern – und vermutlich auch die Bildung von Ladungsträger-Paaren. Allerdings: „Die Konkurrenz der Kräfte hat es bisher verhindert, solche Paare mikroskopisch zu beobachten“, sagt Timon Hilker, der die Forschungsgruppe leitet „Deshalb hatten wir die Idee, die störende Bewegung der Ladungsträger in einer Raumrichtung zu unterbinden.“
So konnten die magnetischen Kräfte weitgehend ungestört wirken. Die Folge: Löcher, die sich nahekamen, formten die erwarteten Paare. Um das zu beobachten, nutzte das Team ein Quantengasmikroskop – eine Vorrichtung, mit der sich quantenmechanische Prozesse detailliert verfolgen lassen. Darin zeigten sich bei hoher Dotierung nicht nur die Lochpaare. Es wurde auch deutlich, wie sie sich – durch abstoßende Kräfte – zueinander anordneten. „Die Resultate unterstreichen die Vorstellung, dass der Verlust des elektrischen Widerstands in nichtkonventionellen Supraleitern durch magnetische Kräfte verursacht wird“, sagt Immanuel Bloch, Direktor am MPQ und Leiter der Forschungsabteilung Quanten-Vielteilchensysteme.
„Das führt zu einem besseren Verständnis dieser außergewöhnlichen Materialien und zeigt einen neuen Weg auf, wie stabile Lochpaare auch bei sehr hohen Temperaturen entstehen können und so möglicherweise die kritische Temperatur von Supraleitern deutlich erhöhen“, sagt Bloch. Die Forschenden planen nun neue Experimente an komplexeren Modellsystemen, in denen große zweidimensionale Netze von Atomen miteinander verbunden sind. Damit, so die Hoffnung, werden mehr Lochpaare entstehen – und es wird sich auch deren Bewegung durch das Atomgitter beobachten lassen: der widerstandlose Stromtransport durch die Supraleitfähigkeit.
MPQ / JOL
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
S. Hirthe et al.: Magnetically mediated hole pairing in fermionic ladders of ultracold atoms, Nature 613, 463 (2023); DOI: 10.1038/s41586-022-05437-y - Quanten-Vielteilchensysteme, Max Planck Institut für Quantenoptik, Garching