Quantentransport in einer Fermionenkette
Forscher modellieren das zeitliche Verhalten von Fermionen, die in eine Kette injiziert werden, auf quantenmechanische Weise.
Transporteigenschaften wechselwirkender Quantensysteme zu beschreiben, ist eine der derzeit größten Herausforderungen in der Theorie der kondensierten Materie. Während die formale Beschreibung der Strom-Spannungskennlinie eines Quanten-Bauteils mit elektrischen Anschlüssen durch die Meir-Wingreen-Formel darstellbar ist, muss doch für viele Systeme auf störungstheoretische Ansätze zurückgegriffen werden. Exakte Lösungen sind nämlich eher selten möglich. Die numerische Behandlung von Transportphänomenen spielt daher nicht nur für die Bestätigung analytischer Ergebnisse eine große Rolle, sondern auch für die Untersuchung von Systemen, die derzeit anders nicht zugänglich sind.
Abb.: Im Modell, das die Physiker verwendet haben, herrscht eine Hybridisierung γ zwischen den Reservoirs (gefüllte Kreise) und den freien Stellen auf der Kette (leere Kreise). Die Wechselwirkung auf der Kette wird mit J bezeichnet. (Bild: F. Gebhard, Ann. Phys.)
Physiker der Philipps-Universität in Marburg und der Technischen Universität Kaiserslautern um Florian Gebhard haben nun untersucht, wie sich Fermionen verhalten, die nach und nach an verschiedenen Stellen in eine Kette injiziert werden. In ihrem Modell ist die Kette zunächst leer, sie steht aber durch Hybridisierung in Kontakt mit gefüllten Teilchenreservoirs. Diese Reservoirs, dienen – ähnlich Wärmebädern in thermodynamischen Modellen – in dem Transportmodell als Quelle.
Die Forscher untersuchten sowohl die hermitesche als auch die nicht-hermitesche zeitliche Dynamik des Systems. Im nicht-hermiteschen Fall hatten sie es mit einer „Quantenratsche“ zu tun, bei der die Fermionen zwar von den Reservoirs in die Kette wandern konnten, aber nicht wieder zurück. Um auch Teilchenströme innerhalb der Kette in Betracht zu ziehen, verwendeten sie in einem Abschnitt ihrer Studie eine inhomogene Hybridisierung der Reservoirs mit der Kette, so dass die Wahrscheinlichkeit des Transports in die Kette für die Reservoirs unterschiedlich war. Schließlich betrachteten sie neben dem Fall nicht-wechselwirkender Fermionen auch die Dichte-Dichte-Wechselwirkung der Teilchen. Dazu benutzten sie die „Methode der numerisch zeitabhängigen Dichte-Matrix Renormalisierungsgruppe“ (numerical time-dependent density matrix renormalization group method t-DMRG).
So konnten sie eine umfassende quantenmechanische Beschreibung der zeitlichen Entwicklung ihres Modells gewährleisten und überprüfen inwiefern dieser einfache Ansatz, der jedoch ein quantenmechanisch abgeschlossenes System verkörpert, ein standardmäßiges thermisches Bad darstellen kann. Experimentell ließe sich dieser Ansatz durch ein eindimensionales kaltes atomares Gas in einem optischen Gitter verwirklichen, so die Forscher.
Der Vergleich ihrer Ergebnisse für die hermitesche und die nicht-hermitesche Zeitentwicklung (Quantenratsche) zeigt eine überraschende Ähnlichkeit: Obwohl die Teilchen im nicht-hermiteschen Fall daran gehindert werden in die Reservoirs zurückzukehren, stellt ihre Injektion in die Kette einen kohärenten quantenmechanischen Prozess dar. Deshalb ließen sich auch quantenphysikalische Phänomenen wie konstruktive und destruktive Interferenz und Pauli blocking beobachten. Inbesondere fanden die Wissenschaftler in beiden Fällen Oszillationen um den langfristigen Mittelwert für die Zahl der Teilchen in der Kette, was für das Ratschen-Modell auf die Renormierung der Wellenfunktion zurückzuführen ist. Quantitativ unterscheiden sich die Modelle jedoch: im Ratschen-Modell füllt sich die Kette nämlich deutlich schneller.
Nach dem die Forscher eine Dichte-Dichte-Wechselwirkung in ihr Modell eingeführt hatten, beobachteten sie ein grundlegend anderes Verhalten: Je nach Art der Dichte-Dichte-Wechselwirkung besitzt das System verschiedene Anfangsenergien. Da die Energie im System aber während der Zeitentwicklung erhalten bleibt, sind nicht alle Bereiche des zugrundeliegenden Hilbertraums zugänglich. Wechselwirkungen können daher – im Vergleich zum wechselwirkungsfreien Fall – die Teilchendichte in der Kette erhöhen oder verringern. Als Hauptmerkmal stellten die Forscher fest, dass das System sich durch die Wechselwirkungen schnell zu stationären Zuständen hin entspannt. In einer Anschluss-Studie wollen die Forscher nun prüfen, ob ihre Ergebnisse mit jenen aus thermodynamischen Untersuchungen in Einklang stehen.
Philipp Hummel
Weitere Infos
PH