Eine Forschergruppe des japanischen National Institute for Fusion Science (NIFS) hat an dem Fusionsexperiment Large Helical Device (LHD) erstmals beobachtet, dass beim Entweichen von Wärme aus dem Plasma, dieser Turbulenzen mit hoher Geschwindigkeit vorauseilen. Die Ergebnisse dieser Arbeit, in deren Verlauf in Zusammenarbeit mit dem Wisconsin Plasma Physics Laboratory (WiPPL) auch ein neues Messgerät entwickelt wurde, wecken die Erwartung, dass zukünftig die Plasmatemperatur über die Beobachtung der Turbulenzen in Echtzeit kontrolliert werden kann.
Um ein Fusionskraftwerk zu betreiben, muss ein Plasma mit einer Temperatur von mehr als 100 Millionen Grad Celsius stabil in einem Magnetfeld eingeschlossen und über einen langen Zeitraum aufrechterhalten werden. Dabei entstehen Turbulenzen, also Strömungen mit Wirbeln unterschiedlicher Größe, die das Plasma stören und die Wärme aus dem eingeschlossenen Plasma nach außen fließen lassen. Das führt dann zu einem unerwünschten Absinken der Plasmatemperatur. Um dieses Problem zu lösen, muss man die Besonderheiten von Wärme und Turbulenzen im Plasma erfassen. Die Turbulenz in Plasmen ist jedoch so komplex, dass sie noch nicht vollständig verstanden ist. Möchte man insbesondere die Art und Weise, wie sich die erzeugte Turbulenz im Plasma bewegt, begreifen, sind Instrumente erforderlich, die die zeitliche Entwicklung der winzigen Turbulenzen mit hoher Empfindlichkeit und extrem hoher räumlich-zeitlicher Auflösung messen können.
Im Plasma kann sich eine Barriere bilden, die den Wärmetransport vom Zentrum nach außen zwar blockiert, allerdings auch ein starkes Druckgefälle erzeugt und damit zu Turbulenzen führt. Naoki Kenmochi und seine Forschungsgruppe haben eine Magnetfeldstruktur aufgebaut, um die Barriere gezielt zu durchbrechen. „Mit dieser Methode können wir uns auf die Wärme und die Turbulenzen konzentrieren, die beim Durchbrechen der Barrieren fließen, und ihre Beziehung zueinander im Detail untersuchen“, beschreibt der Wissenschaftler. „Anschließend haben wir mit elektromagnetischen Wellen verschiedener Wellenlängen die sich verändernde Temperatur und den Wärmefluss der Elektronen sowie feine, nur wenige Millimeter große Turbulenzen mit bisher unerreichter Genauigkeit gemessen. Bis dahin war nur bekannt, dass sich Wärme und Turbulenz fast gleichzeitig mit einer Geschwindigkeit von 5.000 Kilometern pro Stunde – also in etwa so schnell wie ein Flugzeug(1) – bewegen. Unser Experiment hat nun die Existenz von Turbulenzen aufgedeckt, die sich mit einer Geschwindigkeit von 40.000 Kilometern pro Stunde vor der Wärme her bewegen – das entspricht in etwa der Geschwindigkeit einer Rakete(2).“
„Diese Forschung hat unser Verständnis von Turbulenzen in Fusionsplasmen dramatisch erweitert“, so Kenmochi. „Die neu aufgedeckte Eigenschaft der Turbulenz, sich viel schneller als die Wärme im Plasma zu bewegen, eröffnet die Möglichkeit, Temperaturänderungen im Plasma vorherzusagen, indem wir vorausschauend die Turbulenzen beobachten. Wir erwarten, dass wir auf dieser Grundlage in Zukunft Methoden zur Kontrolle der Plasmatemperaturen in Echtzeit entwickeln können.“
NIFS / LK
Vergleichsgrößen einordnende Ergänzung vom 27.5.2022 (auf Anregung eines aufmerksamen Lesers):
1) Das entspricht ungefähr dem für zukünftige Überschallflugzeuge geplanten Mach 4 und ist damit um einiges schneller als der bis dato schnellste Flieger Lockheed SR-71. (Anm. d. Red.)
2) Das ist in etwa die zweite kosmische Geschwindigkeit, mit der eine Rakete die Erde verlassen müsste, um sich in einem Schwung vollständig aus ihrem Gravitationsfeld zu befreien – aufgrund der luftreibungsbedingten Wärmeentwicklung ein nichtereichbarer theoretischer Wert. (Anm. d. Red.)
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