29.11.2017

Rekordverdächtige Quantensimulatoren

Quantenphasenübergang im Nichtgleichgewicht mit über fünfzig Atomen untersucht.

Die Entwicklung von leistungsfähigen Quantensimulatoren, mit denen man viele ungelöste Probleme der Quanten­vielteilchen­physik anpacken kann, nimmt zusehends an Fahrt auf. Zwei US-amerikanische Forscher­gruppen haben jetzt mit jeweils mehr als fünfzig einzeln abgefragten Atomen einen dynamischen Phasen­übergang im quantisierten Ising-Modell erforscht. Quanten­simulatoren sind spezielle Quanten­computer, die mit einer möglichst großen Zahl von Spins das quanten­mechanische Verhalten wechsel­wirkender Teilchen nachbilden und einer detaillierten Untersuchung zugänglich machen. Während herkömmliche Computer schon mit der Simulation eines Quanten­systems aus einigen Dutzend Teilchen überfordert sind, könnte ein Quanten­simulator wesentlich größere Systeme untersuchen.

Abb.: Der Quantensimulator aus Atomen, die einzeln von optischen Pinzetten festgehalten und mit zwei Laserstrahlen in einen Rydberg-Zustand angeregt werden. (H. Bernien et al., Nature)

Als materielle Träger der Spins in einem Quantensimulator nimmt man z. B. supraleitende Festkörper­bauelemente, ultrakalte Atome oder Ionen. Beim Bau von Quanten­simulatoren mit sehr vielen Spins haben gegenwärtig die Atomphysiker die Nase vorn. Vor einem Jahr wurde am NIST in Boulder mit 219 Ionen ein Ising-Quanten­magnet simuliert. Vor Kurzem haben Forscher in Harvard und in Princeton mit ultrakalten Atomen das Hubbard-Modell unter die Lupe genommen.

Jetzt haben die Harvard-Forscher um Markus Greiner und Mikhail Lukin mit bis zu 51 Rubidium­atomen, die mit optischen Pinzetten festgehalten wurden, das besonders schwer zu knackende Verhalten des Ising-Modells mit transversalem Magnetfeld untersucht. Nahezu gleichzeitig haben Christopher Monroe und seine Kollegen von der University of Maryland mit bis zu 53 Ytterbium­ionen in einer linearen Paul-Falle das bisher völlig unzugängliche Nicht­gleichgewichts­verhalten dieses Ising-Modells simuliert.

Beim Harvard-Experiment wurden die kalten Rubidiumatome einzeln von den optischen Pinzetten so festgehalten, dass sie eine lineare Kette bildeten. Mit einem blauen und einem infraroten Laserstrahl, die längs der Kette ausgerichtet waren, wurden die Atome aus einem Grund­zustand |g> in einen hoch­angeregten Rydberg-Zustand |r> gebracht. Diese beiden Zustände entsprachen den beiden möglichen Spin­einstellungen „–“ und „+“.

Die Anregung der Rydberg-Zustände führte dazu, dass sich die Atome mit einer Van-der-Waals-Kraft abstießen, die mit dem Abstand R wie 1/R6 abfiel. Durch Variation des Abstandes der Atome mit Hilfe der optischen Pinzetten ließ sich die Wechselwirkung zwischen den Atomen verändern. Diese Wechselwirkung führte zu einer Rydberg-Blockade: Befand sich ein Atom in einem Rydberg-Zustand, so konnten die innerhalb einer bestimmten Entfernung liegenden Nachbar­atome nicht mehr in den Rydberg-Zustand angeregt werden.

Die Dynamik der Atomkette entsprach der einer Ising-Spinkette mit weitreichender Wechsel­wirkung zwischen den Spins. Wurde die Anregung des Rydberg-Zustandes durch die beiden Laser leicht verstimmt, so wirkte dies auf die Spins wie ein äußeres Magnetfeld, das sie in einen geordneten Zustand zwang. Da auf Dauer nur die Atome im Grundzustand von den Pinzetten festgehalten wurden, ließ sich der Zustand eines Atoms durch Fluoreszenz nachweisen. Wo es leuchtete, war der Zustand |g>, wo es dunkel blieb, war er |r> (gewesen).

Die Rydberg-Blockade führte dazu, dass zwischen zwei angeregten Atomen ein oder mehrere Atome im Grund­zustand liegen mussten. Es bildete sich eine geordnete Phase, ein „Rydberg-Kristall“, wo immer nur jeder zweite oder dritte Spin „+“ war. Wurde die Verstimmung von einem endlichen Wert plötzlich auf 0 geändert („Quench“), also das effektive Magnetfeld abrupt abgeschaltet, so geriet die Spinkette in Unordnung. Es bildeten sich unterschiedlich geordnete Bereiche, zwischen denen Domänen­wände lagen. Dabei zeigte die Dichte dieser Domänen­wände erstaunlicherweise lang andauernde Oszillationen.

Abb.: Der Quantensimulator aus Ionen zeigt nach plötzlichem Anschalten des transversalen Magnetfeldes („Quench“) eine oszillierende Magnetisierung. Das Verhalten für schwaches (blau) und starkes (grün) Magnetfeld unterscheiden sich deutlich voneinander. Zwischen ihnen liegt ein dynamischer Phasen­übergang. (Bild: J. Zhang et al.)

Ganz ähnliche, lang anhaltende Oszillationen im Nichtgleichgewichtszustand eines Quanten­vielteilchen­systems haben auch die Forscher um Chris Monroe von der University of Maryland an ihren Ionenketten beobachtet. Hier lieferten zwei Hyper­feinzustände der Ytterbium­ionen die beiden Spin­einstellungen. Die Wechselwirkung zwischen den Spins wurde durch spin­abhängige optische Dipolkräfte von einem Laserfeld hervorgerufen. Dabei fiel die Kraft mit dem atomaren Abstand R etwa wie 1/R ab. Zusätzlich wirkte ein transversales Magnetfeld in z-Richtung, das die Spins aus ihrem positiven oder negativen x-Zustand heraus­zubringen versuchte.

Auch hier wurde der jeweilige Spinzustand wieder durch zustands­abhängige Fluoreszenz der einzelnen Atome ermittelt. Und auch diesmal wurde durch eine plötzliche Parameter­änderung, d. h. durch Anschalten des transversalen Magnetfeldes, das System aus dem Gleichgewicht gebracht. Hatte das Magnetfeld einen hinreichend kleinen Wert, so zeigte der Gesamtspin der Kette nur kleine Oszillationen um die ursprüngliche negative x-Ausrichtung. Für ein hinreichend großes Magnetfeld fand indes ein Quanten­phasen­übergang statt und der Spin präzedierte nun relativ lange um das Magnetfeld längs der positiven z-Richtung.

Dieser Phasenübergang zeigte sich auch bei der Paarkorrelation zwischen Spins und bei der (über viele Wiederholungen des Experiments) gemittelten Ausdehnung der jeweils größten Spindomäne in einer Kette von 53 Ionen. Die Korrelation und die Domänen­größe nahmen zunächst mit zunehmendem transversalen Magnetfeld rasch ab. Doch am kritischen Punkt kehrte sich ihr Verhalten um und beide nahmen wieder zu. Dieses System mit einem herkömmlichen Computer zu simulieren, ist angesichts der astronomisch großen Zahl (ca. 253= 9 × 1015) von beteiligten Spin­konfigurationen praktisch aussichtslos.

Beide Experimente, mit Rydberg-Atomen wie mit Ionen, dringen tief in wissenschaftliches Neuland ein. Sie zeigen, dass Quanten­simulatoren mit mehr als fünfzig Spins das Nichtgleichgewichtsverhalten von Quanten­vielteilchen­system zuverlässig untersuchen können und dabei interessante Phänomene aufspüren. Beide Forscher­gruppen sind zuversichtlich, dass sie noch wesentlich mehr neutrale Atome bzw. Ionen kontrolliert manipulieren können. Damit werden nicht nur leistungs­fähigere Quanten­simulatoren möglich, sondern vielleicht auch universelle Quantencomputer.

Rainer Scharf

DE

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