Rekordverdächtige Quantensimulatoren
Quantenphasenübergang im Nichtgleichgewicht mit über fünfzig Atomen untersucht.
Die Entwicklung von leistungsfähigen Quantensimulatoren, mit denen man viele ungelöste Probleme der Quantenvielteilchenphysik anpacken kann, nimmt zusehends an Fahrt auf. Zwei US-amerikanische Forschergruppen haben jetzt mit jeweils mehr als fünfzig einzeln abgefragten Atomen einen dynamischen Phasenübergang im quantisierten Ising-
Abb.: Der Quantensimulator aus Atomen, die einzeln von optischen Pinzetten festgehalten und mit zwei Laserstrahlen in einen Rydberg-
Als materielle Träger der Spins in einem Quantensimulator nimmt man z. B. supraleitende Festkörperbauelemente, ultrakalte Atome oder Ionen. Beim Bau von Quantensimulatoren mit sehr vielen Spins haben gegenwärtig die Atomphysiker die Nase vorn. Vor einem Jahr wurde am NIST in Boulder mit 219 Ionen ein Ising-
Jetzt haben die Harvard-Forscher um Markus Greiner und Mikhail Lukin mit bis zu 51 Rubidiumatomen, die mit optischen Pinzetten festgehalten wurden, das besonders schwer zu knackende Verhalten des Ising-
Beim Harvard-Experiment wurden die kalten Rubidiumatome einzeln von den optischen Pinzetten so festgehalten, dass sie eine lineare Kette bildeten. Mit einem blauen und einem infraroten Laserstrahl, die längs der Kette ausgerichtet waren, wurden die Atome aus einem Grundzustand |g> in einen hochangeregten Rydberg-
Die Anregung der Rydberg-Zustände führte dazu, dass sich die Atome mit einer Van-der-
Die Dynamik der Atomkette entsprach der einer Ising-
Die Rydberg-Blockade führte dazu, dass zwischen zwei angeregten Atomen ein oder mehrere Atome im Grundzustand liegen mussten. Es bildete sich eine geordnete Phase, ein „Rydberg-
Abb.: Der Quantensimulator aus Ionen zeigt nach plötzlichem Anschalten des transversalen Magnetfeldes („Quench“) eine oszillierende Magnetisierung. Das Verhalten für schwaches (blau) und starkes (grün) Magnetfeld unterscheiden sich deutlich voneinander. Zwischen ihnen liegt ein dynamischer Phasenübergang. (Bild: J. Zhang et al.)
Ganz ähnliche, lang anhaltende Oszillationen im Nichtgleichgewichtszustand eines Quantenvielteilchensystems haben auch die Forscher um Chris Monroe von der University of Maryland an ihren Ionenketten beobachtet. Hier lieferten zwei Hyperfeinzustände der Ytterbiumionen die beiden Spineinstellungen. Die Wechselwirkung zwischen den Spins wurde durch spinabhängige optische Dipolkräfte von einem Laserfeld hervorgerufen. Dabei fiel die Kraft mit dem atomaren Abstand R etwa wie 1/R ab. Zusätzlich wirkte ein transversales Magnetfeld in z-Richtung, das die Spins aus ihrem positiven oder negativen x-Zustand herauszubringen versuchte.
Auch hier wurde der jeweilige Spinzustand wieder durch zustandsabhängige Fluoreszenz der einzelnen Atome ermittelt. Und auch diesmal wurde durch eine plötzliche Parameteränderung, d. h. durch Anschalten des transversalen Magnetfeldes, das System aus dem Gleichgewicht gebracht. Hatte das Magnetfeld einen hinreichend kleinen Wert, so zeigte der Gesamtspin der Kette nur kleine Oszillationen um die ursprüngliche negative x-Ausrichtung. Für ein hinreichend großes Magnetfeld fand indes ein Quantenphasenübergang statt und der Spin präzedierte nun relativ lange um das Magnetfeld längs der positiven z-Richtung.
Dieser Phasenübergang zeigte sich auch bei der Paarkorrelation zwischen Spins und bei der (über viele Wiederholungen des Experiments) gemittelten Ausdehnung der jeweils größten Spindomäne in einer Kette von 53 Ionen. Die Korrelation und die Domänengröße nahmen zunächst mit zunehmendem transversalen Magnetfeld rasch ab. Doch am kritischen Punkt kehrte sich ihr Verhalten um und beide nahmen wieder zu. Dieses System mit einem herkömmlichen Computer zu simulieren, ist angesichts der astronomisch großen Zahl (ca. 253= 9 × 1015) von beteiligten Spinkonfigurationen praktisch aussichtslos.
Beide Experimente, mit Rydberg-Atomen wie mit Ionen, dringen tief in wissenschaftliches Neuland ein. Sie zeigen, dass Quantensimulatoren mit mehr als fünfzig Spins das Nichtgleichgewichtsverhalten von Quantenvielteilchensystem zuverlässig untersuchen können und dabei interessante Phänomene aufspüren. Beide Forschergruppen sind zuversichtlich, dass sie noch wesentlich mehr neutrale Atome bzw. Ionen kontrolliert manipulieren können. Damit werden nicht nur leistungsfähigere Quantensimulatoren möglich, sondern vielleicht auch universelle Quantencomputer.
Rainer Scharf
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