16.07.2015

Rhythmen wiederherstellen – von Stromnetzen bis zum Herzen

Verfahren könnte zur Stabilisierung von Stromnetzen beitragen – und neue Einblicke in komplexe Systeme ermöglichen.

Stockt ein Rhythmus, so kann der Effekt fatal sein: In einem Stromnetz kann es einen Blackout bedeuten, für das menschliche Herz sogar den Tod. Ein internationales Forscherteam hat einen neuen Ansatz entwickelt, gegen solche unerwünschten Zustände vorzugehen. Sie nutzten dazu eine innovative mathematische Methodik, aufbauend auf der Analyse komplexer Netzwerke, und überprüften diese in Experimenten mit chemischen Reaktionen. Das Verfahren könnte zur Stabilisierung von Stromnetzen beitragen, für die eine unregelmäßige Zufuhr von Energie aus erneuerbaren Quellen eine große Herausforderung bedeutet. Zukünftige Forschung könnte die Methodik auch auf andere komplexe Netzwerke anwenden, etwa auf Prozesse in Körper­zellen und sogar auf das menschliche Herzkreislaufsystem.

Abb.: Gekoppelte elektrochemische Reaktionen. (Bild: W. Zhou et al. / NPG)

„Viele Systeme sind auf winzige Vor- und Rückwärtsbewegungen in einem bestimmten Rhythmus angewiesen, auf Oszillationen“, sagt der Leiter der Forschungsgruppe, Jürgen Kurths vom Potsdam-Institut für Klima­folgen­forschung. „Wird der Rhythmus gestört, kann das System nicht richtig weiterarbeiten. Daher das Interesse, Wege zu finden, um den Rhythmus wieder herzustellen.“ Ausgangspunkt für die Wissenschaftler war die Stabilität von Stromnetzen. Wechselstrom in Stromleitungen schwingt mit einer bestimmten Frequenz, in Europa mit 50 Hertz, in den USA mit 60. Ändert sich die Stromzufuhr sich von einem Moment zum anderen – etwa, wenn von Windrädern erzeugter Strom ins Netz fließt, es plötzlich stürmt oder eine Windstille eintritt – kann es zu einer Störung kommen.

Um solche Belastung der Stromnetze und eventuelle Blackouts zu vermeiden, sind neue Ansätze zur Stabilisierung gefragt. Die jetzt von den Wissen­schaftlern entwickelte Methode ist zwar nur eine von mehreren Möglichkeiten, sie ist aber hoch innovativ. „Das Prinzip ist ziemlich einfach, aber die Mathematik dahinter ist es keineswegs“, sagt István Kiss von der Saint Louis University in den USA. „Wir konnten zeigen, dass die Theorie in einem praktischen Experiment angewendet werden kann, in dem die Rhythmizität in einem kleinen Netzwerk von Strom erzeugenden chemischen Reaktionen wieder hergestellt werden kann. Bei diesen Reaktionen findet eine Menge komplexer physikalischer und chemischer Prozessen statt, mit vielen Variablen und Unsicherheiten. Deshalb ist es wirklich erstaunlich, wie gut ein rein mathematisch entwickelter Ansatz hier seine Wirksamkeit beweist. Das deutet auf eine bemerkenswerte Allgemeingültigkeit hin.“

Die Wissenschaftler untersuchten die Wechselwirkung von gekoppelten schwingenden Systemen. Bereits im 19. Jahrhundert stellte man fest, dass zwei nebeneinander stehende Orgelpfeifen mit ähnlicher Tonhöhe gegen­seitig ihre Vibrationen unterdrücken können. Ähnliche Phänomene kennt man aus der Neurowissenschaft, von chemischen Reaktionen und elektronischen Schaltkreisen. Bis jetzt konnte keine Lösung zur Wiederherstellung der Rhythmen gefunden werden. Dem Team gelang es zu zeigen, dass eine gewisse Verzögerung des Impulses, der etwa in einem Stromnetz von einem Element des Systems zum anderen geht, die vorher gestörten Oszillationen wieder herstellen kann. Selbst eine schwache Abweichung kann einen großen Unterschied machen. Die Forscher waren dabei überrascht, wie einfach und robust ihre Methode ist. Jetzt hoffen sie, dass das Verfahren die Tür zu zukünftiger Forschung im Bereich komplexer Systeme öffnet, und letztendlich Anwendungen in vielen Bereichen anregt, von der Biologie über das Ingenieurwesen bis zu den Sozialwissenschaften.

PIK / RK

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