09.02.2016

Riesen am Schalenabschluss

Ladungsradien von Calcium wachsen entlang der Isotopen­kette ent­gegen theo­re­tischer Vor­her­sagen un­ge­bremst an.

Vor mehr als fünfzig Jahren entwickelten Maria Göppert-Meyer und Hans Jensen das seither überaus erfolgreiche Schalenmodell der Atomkerne. Ähnlich wie bei Edelgasen, die eine abgeschlossene gefüllte Elek­tronen­schale besitzen und deshalb chemisch inert sind, gibt es auch bei Atom­kernen Schalen­ab­schlüsse, die sich durch eine besondere Stabilität ausweisen. Diese Schalenabschlüsse treten bei „magischen“ Zahlen für die Anzahl der Protonen und Neutronen im Kern auf. Aus der Untersuchung stabiler Kerne ergaben sich diese zu 2, 8, 20, 28, 50, 82 und 126. Wenn sowohl die Protonenzahl als auch die Neutronenzahl magisch sind, spricht man von doppelt magischen Kernen. Calciumisotope sind insoweit einmalig, als sich darunter zwei stabile doppelt magische Kerne befinden – das häufigste Isotop Ca-40 und das viel seltenere Isotop Ca-48. Jüngere Resultate von unterschiedlichen kernphysikalischen Experimenten an den kurzlebigen Isotopen bis Ca-54 legten den Schluss nahe, dass bei Calcium auch die Neutronenzahlen 32 und 34 magisch sein könnten. Dies steht im Einklang mit theoretischen Rechnungen, die die zugehörigen Bindungs- und Anregungsenergien mit guter Genauigkeit vorhersagen oder reproduzieren konnten.

Abb.: Die doppelt magischen Ca-Isotope mit den Massenzahlen 40 und 48 besitzen gleich große Kernladungsradien. Die Messung des Isotops Ca-52 ergab einen ungewöhnlich großen Ladungsradius. (Bild: TU Darmstadt)

Calcium wäre damit das erste Element, bei dem man vier doppelt magische Kerne kennen würde. Ein weiteres Indiz für einen Schalenabschluss könnten die Kernladungsradien der Isotope liefern, welche die Größe der Ladungs­ver­teilung, die von den positiv geladenen Protonen herrührt, widerspiegeln. Diese Größe lässt sich mittels Laserspektroskopie bestimmen, denn die Elektronen der Hülle besitzen eine sehr kleine aber endliche Wahr­schein­lich­keit, sich im Atomkern aufzuhalten. Während dieser Zeit ertasten sie ge­wisser­maßen die Protonenverteilung. Ihre Bindungsenergie verändert sich geringfügig, wenn sich die Ladungsverteilung aufgrund der sich ändernden Zahl von Neutronen vergrößert oder verkleinert. Da die Effekte winzig sind, muss eine sehr genaue Methode verwendet werden, die in der Lage ist diese Variationen zu messen.

Die kollineare Laserspektroskopie bietet diese Genauigkeit und wurde bereits früher für die Spektroskopie der leichteren Calciumisotope eingesetzt. Bei dieser Technik wird der Ionenstrahl des zu untersuchenden Isotops mit einem Laserstrahl überlagert. Wenn die Wellenlänge und damit die Farbe des Lasers nicht exakt an die Bindungsenergien der Elektronen im ent­sprechenden Isotop ange­passt ist, kann das Laserlicht nicht mit den Ionen in Wechselwirkung treten und die Detektoren, die von der Seite auf den Ionen­strahl ge­richtet sind, liefern keine Signale. Der zu messende Effekt der Ladungsverteilung bewirkt für das Isotop Ca-52 gegenüber dem stabilen Isotop Ca-40 eine Änderung von etwa 2×10–7 in der Wellenlänge. Besitzt das Laserlicht hingegen die richtige Wellenlänge, so absorbieren die Ionen das Licht. Die dabei aufgenommene Energie müssen sie innerhalb einiger Nanosekunden wieder loswerden. Das tun sie, indem sie wiederum Licht aussenden – und zwar auch in Richtung der Detektoren, die dann ein Signal registrieren.

An der Isotopenfabrik ISOLDE am CERN können die schwereren radioaktiven Calciumisotope erzeugt, gesammelt und als kurzes Ionenpaket zu ver­schie­denen Experimenten, unter ihnen auch das COLLAPS-Experiment zur kollinearen Laserspektroskopie, geleitet werden. Obwohl die Pakete von Ca-52 nur einige wenige Ionen beinhalten und diese wiederum die Detek­toren innerhalb weniger Mikrosekunden passieren, erzeugen sie ein ausreichendes Signal, um im Experiment beobachtet zu werden und die Ladungsradien präzise zu bestimmen. Dabei ergab sich ein starkes An­wachsen der Ladungsradien bei den Isotopen jenseits von Ca-48. Dass der Ladungsradius von Ca-48 zu Ca-50 stark ansteigt, war bereits in früheren Messungen in den 1990er Jahren festgestellt worden. Jetzt stellte sich aber heraus, dass sich dieser rasche Anstieg praktisch ungebremst bis zu Ca-52 hin fortsetzt und selbst bei diesem als magisch angesehenen Isotop – entgegen den Erwartungen der stärkeren Bindung – der Ladungsradius weiterhin zunimmt. Den experimentellen Messungen wurden bestehende und neue, modernste Vielteilchenrechnungen gegenübergestellt. Es zeigte sich, dass keine der Theorien die große Zunahme erklären kann. Das deutet darauf hin, dass eine Anpassung der Kernkräfte notwendig ist, um den unerwartet großen Ladungsradius von Ca-52 zu beschreiben. Die Calcium­iso­tope bleiben damit in der Kernphysik ein äußerst spannendes Forschungsfeld.

MPIK / RK

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