09.05.2016

Röntgenkristallographie mit Levitation

Mikrotropfen mit Proteinkristall per Ultraschall zum Schweben im Röntgenstrahl gebracht.

Eine ungewöhnliche Trägersubstanz haben sich zwei Wissenschaftler am Paul Scherrer Institut PSI ausgesucht, um ein Protein zu unter­suchen: einen frei schwebenden Flüssig­keits­tropfen. Per Ultra­schall brachten sie diesen dazu, in der Luft zu hängen, während sie zugleich mit der Röntgen­strahlung der Synchrotron Licht­quelle Schweiz SLS die Protein­struktur bestimmten. Da die Struktur des eingesetzten Proteins Lysozym bereits durch frühere Messungen bekannt ist, konnten Soichiro Tsujino und Takashi Tomizaki zeigen, dass auch ihre Methode zum korrekten Ergebnis führt. Damit ist zum ersten Mal die Röntgen­struktur­analyse eines Proteins in einem schwebenden Tropfen erfolgreich demonstriert worden. Der große Vorteil der neuen Methode: Sie kann bei Raum­temperatur erfolgen und damit sehr nahe an den natürlichen Bedingungen im Organismus.

Abb.: Mit einer Ultraschallplatte brachten die Forscher einen winzigen Flüssigkeitstropfen von rund einem Millimeter Durchmesser zum Schweben. Darin ist der frei bewegliche Proteinkristall. (Bild: T. Tomizaki)

Insgesamt gibt es eine unüber­schaubare Anzahl verschieden­artiger Proteine, die im Organismus ebenso vielfältige Aufgaben über­nehmen. Die jeweilige Funktion eines Proteins hängt dabei stark mit seiner Struktur zusammen: Der Form, in der die Proteinbau­steine zueinander ausgerichtet sind. Eine genaue Kenntnis der Protein­struktur ist daher entscheidend, um beispiels­weise maß­geschneiderte medizinische Wirkstoffe entwickeln zu können.

An sich ist die Röntgenstruktur­analyse – auch Röntgen­kristallo­graphie genannt – ein etabliertes Verfahren. Hierfür werden zunächst aus vielen Exemplaren eines Proteins mikro­meter­kleine Kristalle gezüchtet. Diese müssen auf tiefe Temperaturen von rund minus 170 Grad Celsius gekühlt werden und lassen sich dann mit einem sehr feinen und sehr intensiven Röntgen­strahl untersuchen. Einen solchen Strahl liefern weltweit nur wenige Anlagen, darunter die Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS am PSI. Die in der Probe abgelenkte Röntgen­strahlung enthält Informationen über die Anordnung der Atome und demnach über die Struktur des jeweiligen Proteins. Um diese Informationen auszuwerten, wird die Strahlung von einem Detektor registriert und schließlich per Computer analysiert. An der SLS sind drei der mehr als zwanzig Mess­plätze auf die Röntgen­struktur­analyse spezialisiert. Hier konnten Forscher auf diese Art in den vergangenen zehn Jahren die Struktur von rund 4000 verschiedenen Proteinen entschlüsseln.

„Das Problem bei dieser Methode ist die notwendige Kühlung der Proteinkristalle“, erklärt der Biologe Tomizaki. Diese erfolgt, damit die Proteine im Kristall keinen Schaden durch die Röntgen­strahlung nehmen. Allerdings: „Keiner kann garantieren, dass bei rund minus 170 Grad Celsius die Proteine weiterhin ihre komplett natürliche Struktur haben – also die Struktur, die sie bei Körper­temperatur im Organismus haben.“ Daher suchten er und der Physiker Soichiro Tsujino nach einer alternativen Methode, die bei Raum­temperatur funktionieren würde und somit sehr nahe an den Bedingungen im Organismus.

So kamen die beiden Wissenschaftler auf die Idee, einen kleinen Flüssigkeits­tropfen mitsamt darin befindlichem Protein­kristall in den Röntgen­strahl zu bringen. Einen Tropfen von wenig mehr als einem Milli­meter Durchmesser – 4 Mikroliter Flüssigkeit – tropften die Forscher oberhalb einer speziellen Platte in die Luft, die sie mittels Ultra­schall gezielt zum Schwingen und damit den Tropfen zum Schweben brachten. An der Strahl­linie für makromolekulare Kristallo­graphie der SLS gelang es den Forschern, in diesem Tropfen die Struktur eines Proteins bei Raum­temperatur zu analysieren.

Mit der Methode des schwebenden Tropfens haben sie zugleich eine zweite Schwierig­keit gelöst: die Handhabung der winzigen Protein­kristalle. Bei der klassischen Struktur­analyse müssen sie mühsam auf einem Proben­halter befestigt werden. Tsujino und Tomizaki hatten es einfacher: Das Züchten von Protein­kristallen erfolgt in einer Protein­lösung. Die beiden Wissenschaftler nahmen einfach mit der Pipette einen Tropfen dieser Lösung mitsamt darin befindlichem Kristall auf.

„Die Einfachheit unserer Methode macht sie zugleich zu einer sehr kosten­günstigen Prozedur. Beides werden externe Wissenschaftler, die an die SLS kommen, um die Struktur von Proteinen zu ermitteln, sehr zu schätzen wissen“, sagt Tsujino voraus. Die Idee, eine Probe im Inneren eines dank Ultraschall schwebenden Flüssigkeits­tropfens zu untersuchen, ist nicht ganz neu. Doch eine erfolgreiche Röntgen­struktur­analyse eines Proteins war bislang noch keinem Forschungsteam geglückt.

„Auch wir konnten bei diesem Unterfangen nur deshalb erfolgreich sein, weil uns an unserer Strahl­linie an der SLS Detektoren mit extrem schneller Daten­verarbeitung zur Verfügung stehen“, sagt Tsujino. Denn der im Tropfen schwimmende Kristall bleibt nicht fix ausgerichtet, sondern bewegt sich und dreht sich konstant und unkontrolliert um die eigene Achse. Bei der klassischen Röntgen­struktur­analyse erhält man zunächst ein Bild von einzelnen, leuchtenden Punkten. Aus der Lage dieser Punkte lässt sich die Struktur des Proteins berechnen. „Doch durch die kontinuierliche Drehung des Kristalls im Tropfen verschmieren diese Punkte eigentlich zu Linien – an eine klassische Struktur­analyse ist dann nicht zu denken“, erklärt Tsujino. Hier brachten die ultra­schnellen Detektoren der Firma DECTRIS – ein Spin-off des PSI – die Lösung: Mit dem Detektor EIGER X 16 M konnten die Forscher 133 Bilder pro Sekunde aufnehmen. Die einzelne Belichtungs­dauer war damit so kurz, dass der Kristall wie eingefroren wirkte.

Auch dass die Kristallbewegung im Inneren des Tropfens völlig unkontrolliert geschieht, war für die Forschenden kein Problem: Die vom Kristall gebeugte – d. h. abgelenkte – Strahlung enthält auch Informationen über den Winkel, unter dem der Kristall beleuchtet wurde. Im Gegenteil erwies sich die Drehung des Kristalls als vorteilhaft: Nach mehreren Tausend auf­genommenen Bildern war der Kristall zuverlässig von allen Seiten beleuchtet worden, sodass eine perfekte Struktur­analyse möglich war. „Tausende von Bildern klingt zwar nach viel, doch dank der schnellen Bild­verarbeitung unserer Detektoren benötigen wir dafür nur etwa eine halbe Minute“, so Tsujino. „Demnächst wollen wir das Experiment noch mit einem anderen Detektor wiederholen, dem EIGER 1M, der dreitausend Bilder pro Sekunde verarbeiten kann. Damit könnten wir alle benötigten Daten innerhalb von rund einer Sekunde aufnehmen.“

Die ständigen Drehungen und Bewegungen des Kristalls im Tropfen waren zudem der Grund, weshalb die Forscher die Messung bei Raum­temperatur durchführen konnten: Der Durchmesser des Röntgen­strahls ist mit 10 Mikrometern deutlich kleiner als die Protein­kristalle, die mit etwa 200 Mikrometern rund doppelt so groß sind wie der Durchmesser eines menschlichen Haares. Dadurch trifft der Strahl immer nur einen kleinen Teil des Kristalls. Die kontinuierliche Kristall­bewegung sorgt dafür, dass kein Bereich lange genug der Strahlung ausgesetzt ist, um Schaden zu nehmen.

„Sicherlich könnten wir auch einen Probenhalter bauen, der eine ähnlich schnelle Drehung und Bewegung des Kristalls ausführt. – Aber wozu, wenn der im Tropfen schwebende Kristall das ganz von alleine und viel kosten­günstiger macht?“, so Tsujino lachend. Die Tauglich­keit ihrer neuen Methode konnten Tsujino und Tomizaki an dem Protein Lysozym demonstrieren: Dessen Struktur ist bereits dank klassischer Röntgen­struktur­analyse bekannt. Die Struktur, die die beiden Forscher nun in ihrem schwebenden Tropfen ermittelten, konnten sie im Vergleich als korrekt bewerten. Die Forschenden konnten auch zeigen, dass die Proteine bei ihrer Methode tatsächlich keinen Strahlungs­schaden nahmen.

Inzwischen arbeiten Tsujino und Tomizaki auch mit einem weiteren Spin-Off-Unternehmen des PSI zusammen: Der leadXpro AG mit Sitz im PARK innovAARE auf dem PSI-Gelände. Die Mitarbeiter von leadXpro waren fasziniert davon, dass die Methode der beiden PSI-Forscher die benötigte Dauer für die Röntgen­struktur­analyse eines Proteins deutlich verkürzt. Gemeinsam wollen die PSI-Forscher und die Wissenschaftler von leadXpro nun die neue Methode weiterentwickeln. Diese konkrete Zusammenarbeit wird aktuell für zweieinhalb Jahre von der Schweizer Kommission für Technologie und Innovation (KTI) gefördert.

PSI / DE

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