Rotor aus künstlichem Muskel
Hocheffizienter Mikromotor besteht aus einer verdrillten Kunststofffaser.
Einen hocheffizienten Mikromotor und zugleich Energiespeicher haben Forscher des Helmholtz-Zentrums Geesthacht und der Université de Bordeaux nun entwickelt. Der Mikromotor besteht aus einer Kunststoff-Mikrofaser, die bei Raumtemperatur steif ist. Erwärmt wird die Faser elastisch und kann verdrillt werden – wie bei einem Modellflugzeug mit Gummiband. Wieder abgekühlt behält die Faser aber anders als Gummi ihren verdrillten Zustand bei; so lange, bis man sie am Einsatzort erneut erwärmt. Die Drehspannung kehrt zurück, das bewegliche Ende beginnt sich zu drehen und der Mikrofaser-Motor kann als Antrieb dienen.
Die Forscher erreichten eine hohe Energiedichte bei der Speicherung, weils sie& den Kunststoff mit winzigen Blättchen aus Graphenoxid versteiften. Jinkai Yuan von der Université de Bordeau erklärt: „In den Experimenten zeigte sich, dass Graphenoxid den Kohlenstoff-Nanoröhrchen überlegen ist.“ Durch die günstige Orientierung der Nanoblättchen zur Deformationsrichtung der Faser und deren eigener Verformung wird mit Graphenoxid ein höheres Drehmoment erreicht.
Andreas Lendlein, Leiter des HZG-Instituts für Biomaterialforschung in Teltow, sagt: „Die Anzahl der Drehungen, die der Mikro-Fasermotor ausführen kann, und der Temperaturbereich, in dem diese Bewegung ausgelöst wird, können vorbestimmt werden.“ Die Schalttemperatur, bis zu der die Drehspannung bewahrt wird, kann in weiten Grenzen über die Temperatur festlegt werden, bei der die Faser zuvor verdrillt wurde. Bei dem untersuchten Fasermaterial, dem Polyvinylalkohol, hat sich eine Programmiertemperatur von achtzig Grad Celsius als besonders günstig erwiesen. Hier können achtzig Prozent der durch die Verdrillung der Faser programmierten Drehungen wieder abgerufen werden. Für künftige medizinische Anwendungen kann man aber auch mit einem Kunststoff arbeiten, der bei Körpertemperatur schaltet.
„Dieses Ergebnis ist ein wichtiger Schritt hin zu vielen Anwendungen – wie Mikroroboter oder gar autonome Systeme, bei denen die Programmierung beispielsweise mit Windkraft erfolgen könnte“, so Lendlein. Mit ihrem einfach aufgebauten Motor füllen die beiden Forschergruppen eine Marktlücke. Denn für viele Zwecke ist ein Elektromotor zu schwach, zu groß, zu wenig robust – und er benötigt Strom- und Steuerungskabel. Bei den bisherigen Versuchen mit Fasern waren wiederum Rotationsgeschwindigkeit, Drehmoment und Rotationswinkel zu klein. Vor allem aber ließ die gewichtsbezogene Energiedichte zu wünschen übrig. Beim Mikrofaser-Motor ist sie sechzigmal höher als bei natürlichen Skelettmuskeln.
HZG / JOL
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
J. Yuan et al.: Shape memory nanocomposite fibers for untethered high-energy microengines, Science 365, 155 (2019); DOI: 10.1126/science.aaw3722 - Institut für Biomaterialforschung, Helmholtz-Zentrum Geesthacht HZG, Teltow