Schärferer Röntgenblick mit Speziallinsen
Multilayer-Laue-Linsen ermöglichen Röntgenfokus mit weniger als zehn Nanometern Durchmesser.
Mit neu entwickelten Speziallinsen erreichen Röntgenmikroskope erstmals eine Rekordauflösung im unteren Nanometerbereich. Die Entwickler um Saša Bajt von Center for Free-Electron Laser Science CFEL am Desy in Hamburg haben mit einer neuen Materialkombination das Design von Multilayer-Laue-Linsen optimiert und so einen winzigen Röntgenfokus mit weniger als zehn Nanometern Durchmesser erzeugt. Die Forscher haben die Linsen unter anderem mit Aufnahmen von Meeresplankton getestet.
Abb.: Für abbildende Untersuchungen fokussieren zwei rechtwinklig angeordnete Linsen den Röntgenstrahl auf einen Punkt. Im Strahlengang kann dann ein Untersuchungsobjekt platziert und vom Detektor abgelichtet werden. (Bild: A. Morgan, S. Bajt, DESY)
Moderne Teilchenbeschleuniger können ultrahelle und qualitativ extrem hochwertige Röntgenstrahlung erzeugen. Dank der kurzen Wellenlänge und ihrer hohen Eindringtiefe eignet sich Röntgenstrahlung hervorragend, um komplexe Materialien in feinstem Detail mikroskopisch zu untersuchen. Das Potenzial der Röntgenmikroskopie lässt sich allerdings erst mit hocheffizienten und möglichst perfekten Röntgenoptiken voll ausnutzen. Trotz der Anstrengungen von Forscherteams weltweit hat sich dies als schwieriger erwiesen als vermutet, und die Konstruktion eines Röntgenmikroskops mit einer Auflösung besser als zehn Nanometer ist nach wie vor eine große Herausforderung.
Wegen ihrer besonderen Eigenschaften lassen sich Röntgenstrahlen nicht so einfach fokussieren wie sichtbares Licht. Stattdessen sind Spezialoptiken wie die Multilayer-Laue-Linsen (MLL) nötig. Sie bestehen aus abwechselnden, nanometerdünnen Schichten zweier unterschiedlicher Materialien. Im Gegensatz zu klassischen Linsen beugen MLL die Strahlung nicht, sondern streuen sie wie ein Kristall. Die Kunst dabei ist, die Röntgenlinse so aufzubauen, dass sie möglichst viel der einfallenden Röntgenstrahlung auf einen möglichst kleinen Punkt konzentriert. Dazu muss nicht nur die Schichtdicke exakt kontrolliert werden, die Dicke und vor allem die Ausrichtung der Schichten müssen sich über die Linse auch kontinuierlich ändern. Die Größe des Röntgenfokus hängt dabei von der Dicke der dünnsten Schicht ab.
Die Speziallinsen werden üblicherweise mit Sputter-Verfahren erzeugt, bei dem das Baumaterial zunächst zerstäubt wird und sich dann auf einem Substrat absetzt. So lassen sich Schichten genau kontrollierter Dicke erzeugen. Um die erforderliche Präzision und die besonderen Linseneigenschaften zu erreichen, hatte Bajts Team eine spezielle Sputter-Technik entwickelt und die Eigenschaften der Linsenmaterialien genau untersucht, die sich oft mit der Linsendicke ändern. Mit einer Materialkombination aus Wolframkarbid und Siliziumkarbid erzeugten die Forscher nun Linsen mit mehr als zehntausend abwechselnden Schichten. „Die Wahl des richtigen Materialpaars war entscheidend für den Erfolg“, erläutert Bajt. „Das schließt andere Materialkombinationen zwar nicht aus, aber diese ist definitiv die beste, die wir kennen.“
Um einen Röntgenstrahl in horizontaler und vertikaler Richtung zu fokussieren, sind zwei Linsen nötig, die rechtwinklig zueinander stehen. Mit dieser Anordnung konnte das Forscherteam einen Röntgenfokus von nur 8,4 Nanometern mal 6,8 Nanometern Größe an der Hard-X-ray-Nanoprobe-Messstation der US-Röntgenstrahlungsquelle National Synchrotron Light Source II (NSLS II) am Brookhaven National Laboratory BNL erzeugen. Die Fokusgröße bestimmt die räumliche Auflösung eines Röntgenmikroskops, und die neuen Linsen ermöglichen so eine mindestens fünfmal bessere Auflösung als heute übliche Linsen. „Wir haben den weltweit kleinsten Röntgenfokus mit hocheffizienten Linsen erzeugt“, betont Bajt. Die Effizienz ist ein Maß dafür, wie gut eine Linse auf die Strahlung wirkt. Röntgenstrahlung würde normalerweise durch die Linsenmaterialien nahezu ungehindert hindurchlaufen. Eine Herausforderung lautet daher, solche Linsenstrukturen herzustellen, die eine möglichst starke Wechselwirkung mit der Röntgenstrahlung erzeugen und möglichst viel der Strahlung in den Brennpunkt dirigieren. Die neuen Linsen erreichen eine Effizienz von mehr als 80 Prozent. Dieser hohe Wert illustriert den Grad an Präzision, den die Wissenschaftler in der Produktion der nötigen Nanostrukturen erreicht haben.
Abb.: Röntgenhologramm einer Schale der Kieselalge Actinoptychus senarius mit einem Durchmesser von nur 0,1 Millimetern. Die 5000fache Vergrößerung zeigt feinste Details der Struktur. Die Röntgenlinse hat dazu den Röntgenstrahl auf einen Brennpunkt mit nur etwa acht Nanometern Durchmesser fokussiert. (Bild: A. Morgan, S. Bajt, H. Chapman, C. Hamm, DESY / AWI)
Diese Präzision ermöglicht nun Projektionsbilder über einen weiten Bereich von Vergrößerungsfaktoren, wie Tests der neuen Linsen belegen. An der Messstation P11 der hochbrillanter Röntgenquelle PETRA III am Desy zeichneten die Forscher dabei hochauflösende Röntgenhologramme winziger Strahlentierchen (Radiolarien) und Kieselalgen (Diatomeen) aus dem Meeresplankton auf. Die untersuchten Strahlentierchen sind Einzeller aus der Klasse der Acantharia und die einzigen bekannten Organismen, die ihr Skelett aus dem Mineral Strontiumsulfat aufbauen. Die ebenfalls von Bajts Team untersuchten Kieselalgen haben kompliziert strukturierte Schalen, die extrem stabil und leicht zugleich sind. Sie bestehen aus nanostrukturierter Kieselsäure, die bisher in zweidimensionalen Analysen mit Elektronenmikroskopen untersucht wurde. Höchstwahrscheinlich wegen dieser Strukturierung ist die Festigkeit der Kieselsäure außergewöhnlich hoch – zehnmal höher als die von Baustahl – obwohl sie bei niedrigen Temperatur- und Druckbedingungen hergestellt wird.
„Wir hoffen, dass die neuartigen Röntgenoptiken uns bald ermöglichen werden, diese Nanostrukturen in 3D zu untersuchen“, sagt Meeresforscher Christian Hamm vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven, der die Planktonproben zur Verfügung gestellt hat. „Das kann uns helfen, die enorme mechanische Belastbarkeit dieser Schalen zu modellieren und zu verstehen und mit diesem Wissen neue, umweltfreundliche und leistungsfähige Materialien zu entwickeln.“ Die neuen Linsen eignen sich für eine Vielzahl von Anwendungen, von der Bildgebung mit Nanometer-Auflösung bis zur Röntgenspektroskopie. „Diese MLL eröffnen viele neue Möglichkeiten in der Forschung mit Röntgenstrahlung. Sie lassen sich für verschiedene Energien und auch für kohärente Quellen wie Freie-Elektronen-Röntgenlaser herstellen“, erläutert Bajt. „Da wir jetzt wissen, wie wir das Linsendesign optimieren können, ebnet unsere Arbeit den Weg, um letztendlich das Ziel einer Auflösung von einem Nanometer in der Röntgenmikroskopie zu erreichen.“
DESY / JOL