Segeln mit Nerven aus Glas
Hersteller von Rennyachten setzen auf ausgeklügelte Sensorik, um der Konkurrenz davon zu fahren.
Wie baut man Yachten, die schneller sind als der Wind und doch so stabil, dass sie den harten Bedingungen auf hoher See trotzen können? Ein neues Sensorsystem vom Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik HHI kann helfen, Schwachstellen rechtzeitig aufzuspüren und Segler warnen, wenn die Belastungsgrenze erreicht ist. Wolfgang Schade und sein Team in der Projektgruppe Faseroptische Sensorsysteme in Goslar haben Nerven aus Glas entwickelt, mit denen sich die Kräfte messen lassen, die auf Rümpfe, Masten und Segel wirken.
Abb.: Um die Kräfte zu messen, die auf das Segel wirken, haben Forscher es mit einem Netz aus Glasfasersensoren versehen. (Bild: Fh.-HHI)
Eigentlich wurde die Technik für das Monitoring von Windkraftanlagen erarbeitet. Dort sind Rotorblätter und Kabel hohen Belastungen ausgesetzt. „Mit faseroptischen Sensoren können wir Delaminationen oder auch Risse in einem frühen Stadium detektieren – lange bevor Brüche oder Ausfälle auftreten“, erklärt der Physiker. „Man benötigt nur ein Glasfaserkabel. In dieses lassen sich Dutzende von Sensoren integrieren.“ Das Herzstück der neuen Technik sind Faser-Bragg-Gitter, mikroskopische Strukturen, die in definierten Abständen in die Glasfaser integriert sind, und die den Brechungsindex verändern. Licht, das durch die Glasfaser rast, wird von diesen Gitterpunkten reflektiert. Die Wellenlänge des reflektierten Lichts ist abhängig vom Abstand der mikroskopischen Strukturen: Jede Dehnung oder Stauchung der Glasfaser verändert die Wellenlänge. Um das Reflexionsspektrum schnell und kostengünstig messen zu können, haben die Forscher ein Mini-Spektrometer entwickelt. Es besteht aus einem Chip, der Licht in verschiedene Frequenzen aufspaltet. Durch Analyse des Frequenzspektrums können die Experten Rückschlüsse ziehen auf die Kräfte, denen die Glasfaser gerade ausgesetzt ist.
Die Idee, die Messtechnik auch auf Segelbooten einzusetzen, kam Schade während eines Törns im Herbst 2010: „Beim Segeln geht es darum, den Wind optimal zu nutzen und möglichst schnell zu sein, gleichzeitig muss man aber verhindern, dass die Belastungsgrenze überschritten wird. Faseroptische Sensoren können dabei helfen, die Kräfte, denen Rumpf, Mast und Segel ausgesetzt sind, während der Fahrt in Echtzeit zu bestimmen.“ Die Eignung der Sensoren, den Segelsport voranzutreiben, konnte Schade wenige Monate später beweisen. Auf der Düsseldorfer Bootsmesse lernte er Jens Nickel kennen, den Chef der Segelwerkstatt Stade. In Nickels Werkstatt wurden in Zusammenarbeit mit dem Tuchhersteller Dimension Polyant ein Großsegel und eine Genua mit einem Spinnennetz aus Glasfasern, das 45 Messpunkte enthielt, versehen und beim anschließenden Probetörn vermessen. „Die Zugspannung im Segelkopf, ganz oben im Segel, war höher als bisher angenommen“, so Nickel. „Die Belastung im Schothorn, dem unteren, hinteren Teil des Segels und im gesamten Achterlieksbereich, der das hintere Ende eines Segels bildet, waren hingegen geringer als gedacht.“ Die Segelwerkstatt Stade nutzte die Daten sofort, um die Verarbeitung ihrer Segel zu optimieren. Die stark belasteten Bereiche wurden verstärkt, in den weniger beanspruchten Zonen setzt der Segelmacher jetzt leichteres Material ein.
Als nächstes wollen Schade und sein Team die Messtechnik fit machen für den Einsatz im Wettkampf. „Wir haben jetzt Segellatten mit faseroptischen Sensoren ausgerüstet, die Sportlern künftig dabei helfen können, den optimalen Trimm zu finden, die Segelstellung, mit der das Boot bei bestimmten Wind- und Wellenverhältnissen am schnellsten ist“, so Schade. Die faseroptischen Sensoren und die angeschlossene, zigarettenschachtelgroße Messtechnik, die LED-Lichtquelle, Spektrometer und Elektronik enthält, liefern erstmals reproduzierbare Werte, die anzeigen, in welchen Bereichen zu viel oder zu wenig Druck herrscht oder wie sich die Belastungszonen verschieben, wenn beispielsweise die Schoten dichter geholt werden. Die Ergebnisse der Sensortechnik sollen an Bord jederzeit und überall abrufbar sein – eine App, die das Abrufen der Echtzeitdaten via Smartphone erlaubt, hat Schades Team bereits entwickelt. Das neue Messsystem kommt unter dem Markenamen NextSailSystem demnächst auf den Markt.
HHI / OD