14.06.2019

Selbstheilende Quasiteilchen

Simulation zeigen Zerfall und Neubildung identischer Quasiteilchen.

Nichts hält ewig, sagt der Volksmund. Die Gesetze der Physik bestätigen dies: Alle Prozesse auf unserem Planeten vergrößern die Entropie, also die molekulare Unordnung. Ein zerbrochenes Glas beispielsweise würde sich niemals von selbst wieder zusammen­fügen. Was in der Alltags­welt undenkbar erscheint, ist auf mikro­skopischer Ebene möglich, das haben nun Physiker der Technischen Universität München TUM und des Max-Planck Instituts für die Physik komplexer Systeme heraus­gefunden.

Abb.: Künstlerische Illustration: Starke Quanten­wechsel­wirkungen...
Abb.: Künstlerische Illustration: Starke Quanten­wechsel­wirkungen verhindern den Zerfall von Quasi­teilchen. (Bild: K. Verresen, TUM)

„Bisher ist man davon ausgegangen, dass Quasiteilchen in wechsel­wirkenden Quanten­systemen nach einer gewissen Zeit zerfallen. Jetzt wissen wir, dass das Gegenteil der Fall ist: Starke Wechsel­wirkungen können den Zerfall sogar komplett stoppen“, sagt Frank Pollmann, Professor für Theoretische Festkörper­physik. Ein Beispiel für solche Quasiteilchen sind kollektive Gitter­schwingungen in Kristallen, die Phononen. Den Begriff des Quasi­teilchens prägte der Physiker und Nobelpreis­träger Lew Dawidowitsch Landau. Er beschrieb damit kollektive Zustände von vielen Teilchen, beziehungs­weise deren Wechsel­wirkungen durch elektrische oder magnetische Kräfte. Durch diese Interaktion verhalten sich mehrere Teilchen wie ein einzelnes. 

„Welche Prozesse das Schicksal dieser Quasi­teilchen in wechsel­wirkenden Systemen im Detail beeinflussen, war bisher allerdings nicht bekannt“, sagt Pollmann. „Erst jetzt verfügen wir über numerische Methoden, mit denen wir komplexe Wechsel­wirkungen berechnen können und außerdem über Computer, die leistungs­fähig genug sind, diese Gleichungen zu lösen.“ „Das Ergebnis der aufwendigen Simulation: Quasi­teilchen zerfallen zwar, aus den Bruchstücken entstehen aber neue, identische Teilchen­gebilde“, sagt Ruben Verresen. „Wenn dieser Zerfall sehr schnell abläuft, kommt es nach einer gewissen Zeit zu einer Umkehrung der Reaktion, und die Trümmer finden sich wieder zusammen. Dieser Prozess kann sich unendlich wiederholen, es entsteht eine anhaltende Schwingung zwischen Zerfall und Wiedergeburt.“

Diese Schwingung ist physikalisch betrachtet eine Welle, die in Materie umgewandelt wird – was gemäß dem quanten­mechanischen Welle-Teilchen-Dualismus möglich ist. Damit verstoßen die unsterblichen Quasi­teilchen auch nicht gegen den zweiten Hauptsatz der Thermo­dynamik. Ihre Entropie bleibt konstant, der Zerfall ist gestoppt. Die Entdeckung erklärt auch Phänomene, die bisher rätselhaft waren. Experimental­physiker hatten gemessen, dass die magnetische Verbindung Ba3CoSB2O9 erstaunlich stabil ist. Magnetische Quasiteilchen, die Magnonen, sind dafür verantwortlich. Andere Quasi­teilchen, die Rotonen, sorgen dafür, dass Helium, an der Erdoberfläche ein Gas, am absoluten Nullpunkt eine Flüssigkeit wird, die wider­standslos fließen kann.

„Unsere Arbeit ist reine Grundlagen­forschung“, betont Pollmann. Es sei aber gut möglich, dass die Ergebnisse eines Tages auch Anwendungen erlauben – beispielsweise den Bau langlebiger Daten­speicher für zukünftige Quanten­computer.

TUM / JOL

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