05.10.2017

Simulierte Metalle

Computermodell zeigt Zusammenhänge zwischen Festigkeit und atomarer Struktur.

In Metallen können Unregel­mäßigkeiten im ansonsten ganz regel­mäßigen Kristall­gitter auftreten. Sie entstehen zum Beispiel durch Kraft­einwirkung von außen. Mit einer Reihe aufwendiger Computer­simulationen konnten Forscher der Tech­nischen Univer­sität Darmstadt und des Lawrence Liver­more National Labora­tory in Kali­fornien studieren, wie sich diese Linien­defekte in Metallen vermehren und unter welchen Bedin­gungen sie auf sie wirkende mechanische Verformungs­kräfte nicht mehr genügend abbauen können. Dabei kommt dann ein neuer Mecha­nismus der Zwillings­bildung ins Spiel, bei der die Ausrichtung des Kristall­gitters umorien­tiert wird. 

Abb.: Simulationsmodell eines verformten Tantalkristalls: Ausgehend von den einzelnen Atomen (gelb) hat ein Algorithmus die Form der Versetzungsdefekte (grüne Linien) und Zwillingsgrenzen (graue Flächen) ermittelt. (Bild: A. Stukowski)

Festig­keit und Verform­barkeit eines Metalls, wie beispiels­weise des in der Studie betrach­teten Tantals, werden ent­scheidend durch Linien­defekte im kristal­linen Aufbau auf der atomaren Ebene bestimmt. Diese Ver­setzungen sind für das Abgleiten der regelmäßig angeord­neten Atom­lagen in der Kristall­struktur verant­wortlich, das bei plastischer Verformung des Werkstoffs auftritt. Die Theorie der Verset­zungen wurde in den 1930er Jahren entwickelt. Seitdem hat sich die Forschung vor allem der Wechsel­wirkung dieser linien­förmigen Kristall­fehler gewidmet, da sie eine wichtige Rolle für die Verfes­tigung von Metallen spielt. Hierbei nimmt die Festig­keit des Materials durch die fort­laufende Verformung zu. Dieser Effekt wird beispiels­weise von einem Schmied ausgenutzt, der ein Metall mit Hammer und Amboss bearbeitet.

„Wir sagen mit unserem Computer­modell vorher, dass der Kristall letzt­endlich einen statio­nären Zustand einnehmen und in ihm unbe­grenzt verweilen kann, nachdem er seine maximale Festig­keit erreicht hat“, sagt Alexander Stukowski. „Bereits vor Jahr­tausenden wussten Schmiede intuitiv, dass sie die mecha­nischen Eigen­schaften von Metall­teilen durch das wieder­holte Bearbeiten mit dem Hammer von verschiedenen Seiten deutlich verbessern können. Genau solch ein Kneten des Metalls stellen wir in unserer atomar aufge­lösten Simu­lation nach.“

Bislang galten die dabei relevanten Zeit- und Längen­skalen als unüber­windbares Hindernis: Ein Kubik­mikrometer Metall besteht typischer­weise aus 60 Milliarden Atomen. Die Wissen­schaftler können – aufbauend auf den neuen Ergeb­nissen – berechnen, wie die Atome unter­einander wechsel­wirken und die Bewegungs­bahn jedes einzelnen Atoms über viele Millionen Zeit­schritte hinweg verfolgen. Aufgrund der riesigen Daten­menge und des notwendigen Rechen­aufwands waren solch detail­lierte numerische Simu­lationen für die Vorhersage der Metall­festigkeit bisher nicht möglich. Wie das Forscher­team jetzt zeigte, sind solche atomis­tischen Simu­lationen nun machbar – und sie können eine Fülle von Beobach­tungen zu den mikro­skopischen Prozessen liefern, die für das dyna­mische Verformungs­verhalten metal­lischer Werk­stoffe von funda­mentaler Bedeutung sind.

„Wir können in unserer Metall­simulation das Kristall­gitter und die vielen Atome, aus denen es sich zusammen­setzt, mit allen Details sehen und die Verän­derung während der einzelnen Verformungs­phasen studieren“, sagt Stukowski. „Die große Zahl der Atome und die Kom­plexität der drei­dimensionalen Versetzungs­strukturen überfordern jedoch selbst ein geschultes Auge bei weitem. In unserer Forschungs­gruppe in Darmstadt haben wir daher präzise Analyse­methoden und Computer­algorithmen entwickelt, die Kristall­fehler auto­matisch klassi­fizieren, heraus­filtern und sichtbar machen können.“

Erst der Einsatz leistungs­fähiger Supercomputer macht entsprechende Simu­lationen möglich, in denen die Bewegungs­bahnen vieler Millionen oder Milliarden einzelner Atome berechnet und damit das Festigkeits­verhalten eines metal­lischen Werk­stoffs unter schneller Verformung vorher­gesagt werden kann. Die Forscher setzten für ihre Studie Groß­rechner der höchsten Leistungs­klasse am Lawrence Liver­more National Labora­tory und am Helmholtz-Forschungs­zentrum Jülich ein. Das Verfahren ermög­liche nun einen ganz neuen Zugang zum Forschungs­gegenstand, sagt Stukowski und zitiert den Physiker Colin Humphreys: „Kristalle sind wie Menschen. Es sind ihre Fehler, die sie interes­sant machen.“

TU Darmstadt / JOL

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