Solarstrom, Stromnetze, Speicher
Energietechnologien im Jahresrückblick 2017.
Trotz aller Kritik sind die Fortschritte der Energiewende in Deutschland 2017 unübersehbar. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung stieg auf 38,5 Prozent, an manchen Tagen deckten Solar- und Windkraftwerke sogar den kompletten Bedarf. Seit 2017 werden in fünf Schaufensterregionen die weiteren Schritte der Energiewende unter besonderer Berücksichtigung der Kopplung mit den Sektoren Wärme und Verkehr vorangetrieben. Zugleich unterstützen 95 Prozent der Deutschen weiterhin den verstärkten Ausbau der erneuerbaren Energien.
Abb.: Neue Prognosemodelle für Wind und Sonne liefern eine sehr hohe Vorhersagegenauigkeit und an den Netzbetrieb angepasste Wetterwarnungen. So sind sie den üblicherweise verwendeten Verfahren vor allem bei extremen Wetterlagen wie starkem Wind überlegen. (Bild: Fh.-IWES)
Damit der positive Trend weiter anhält, entwickelten Forscher am Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik IWES in Kassel neue mathematische Modelle, um die Erzeugungsprognosen für Wind- und Solarparks weiter zu optimieren. Das große Potenzial der zunehmenden Digitalisierung der Energiesysteme lotete das neue Zentrum für Energie und Information in Garching aus. Auch das Karlsruher Institut für Technologie setzte verstärkt auf eine vernetzte Forschung für die Energiewende. Am gleichen Ort bündelten europäische Forschungspartner im Rahmen des SmILES-Projekts ihr Knowhow, um das Zusammenspiel verschiedenster Energieinfrastrukturen wie Speicher, Solar und Biomasse für die Energiewende zu verbessern.
Viele Forscher konzentrierten sich im vergangenen Jahr auf die intelligente Regelung von Energieströmen. So zeigte eine Studie von IWES-Forschern, dass auch Wind- und Solarparks in Stromnetzen begehrte Regelleistung bereitstellen können. Mit Gleichstrom-Technologie auch für die Mittelspannungsebene des Stromnetzes könnte laut Siemens-Forschern eine verlustarme Stromleitung für Regionen mit hohem Anteil an dezentralen Wind- und Solarkraftwerken erreicht werden. Im Verbundprojekt MathEnergy stand die Simulation von Energienetzen im Mittelpunkt, um dank neuer Software das gesamte Gas- und Stromnetz Deutschlands besser zu steuern.
Rekord-Wirkungsgrade für Solarzellen
Wie schon in den Vorjahren widmeten sich 2017 zahlreiche Forschungsinstitute der Optimierung von Solarzellen trotz bereits stark gefallener Kosten. So stellte das japanische Solarunternehmen Kaneka in Osaka mit 26,6 Prozent Wirkungsgrad einen neuen Rekord für monokristalline Solarzellen aus Silizium auf. Möglich wurde dies durch Heteroübergänge und ein spezielles Design der Rückkontakte. Die günstigeren, polykristallinen Silizium-Solarzellen verbesserten Freiburger Forscher am Fraunhofer ISE und erzielten einen neuen Rekordwert mit 22,3 Prozent Wirkungsgrad. Und das Institut für Solarenergieforschung Hameln (ISFH) und das National Renewable Energy Laboratory (NREL) erreichten in Zusammenarbeit gar einen Wert von 35,4 Prozent für eine mechanisch gestapelte GaInP/GaAs/Si-Dreifachzelle. Über die Steigerung der Lichtabsorption könnten diese Werte in Zukunft weiter steigen. Am Karlsruher Institut für Technologie KIT gelang es auf diesem Weg, spezielle Nanostrukturen – inspiriert von Schmetterlingsflügel – auf Solarzellen zu übertragen und deren Licht-Absorptionsrate zu verdoppeln. Doch auch über die Singulett-Spaltung in Pentacen-Dimeren könnte in Zukunft deutlich mehr Energie aus Solarmodulen herausgeholt werden, wie eine Studie von Physikern der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zeigte.
Abb.: Nanostrukturen auf dem Flügel von Pachliopta aristolochiae lassen sich auf Solarzellen übertragen und steigern deren Absorptionsraten um bis zu zweihundert Prozent. (Bild: R. H. Siddique, KIT / Caltech)
Anwendungen von PV-Modulen über Solarkraftwerke hinaus verzeichneten ebenfalls deutliche Fortschritte. In smarte Fassaden integrierte fexible Solarzellen könnten die Stromversorgung von Gebäuden in Zukunft unterstützen. Über durchsichtige Solarpaneelen aus lumineszierenden Solarkonzentratoren sollen Fensterflächen für die Stromerzeugung nutzbar gemacht werden. Die Kopplung mit dem Verkehrssektor hatten Forscher am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg mit Solardächern für Sattelschlepper im Blick, um den Treibstoffbedarf von Nutzfahrzeugen effizient zu senken. Und sogar eine am KIT entwickelte Solarbrille versorgte mit halbtransparenten organischen Solarzellen in Brillengläsern einen Mikroprozessor mit Energie. Ebenfalls ohne Silizium kommen neuen Perowskit-Solarzellen aus, die in zahlreichen Laboren stetig verbessert werden. Mit Nanostreifen als Transportpfade für Ladungen gelang es KIT-Forschern die Prozesse in einer Perowskit-Zelle genauer zu verstehen, um ihre Haltbarkeit bald verlängern zu können. Weitere Fortschritte sind auch in den kommenden Jahren zu erwarten, nicht zuletzt mit dem „Zentrum für höchsteffiziente Solarzellen“, dessen Grundstein 2017 in Freiburg gelegt wurde.
Forschungsboom bei Batterien
Der große Elan der Photovoltaik-Forschung wurde 2017 von der Entwicklung neuer Batterien noch überflügelt. Höhere Speicherkapazitäten, schnellere Ladezeiten und längere Lebensdauern sollen nicht nur neue Lithium-Ionen-Akkus erreichen, die mit einem neuen Schnelltest der Technischen Universität München TUM untersucht werden können. Günstigere Batterien auf Lithium-Schwefel-Basis könnten schon bald den Weg zur Anwendung finden. Am Paul-Scherrer-Institut PSI in Villigen konnte mit Quarz der allzu schnelle Verlust an Ladekapazität gezügelt werden. Am Fraunhofer-Institut für Werkstoff- und Strahltechnik IWS In Dresden ließ sich die Anzahl der Ladezyklen mit einem neuen Anoden- und Zellkonzept für Lithium-Schwefel-Batterien steigern. Forscher des U.S. Naval Research Laboratory in Washington arbeiteten gar an einer Renaissance von zinkbasierten Batterien. Dank poröser Zinkschäume gelang die Entwicklung einer Nickel-Zink-Batterie zum Wiederaufladen. Mit Anoden aus Silizium sollen auch Lithium-Ionen-Akkus mit höherer Leistungsdichte länger leben als derzeit. Koreanische Forscher am Korea Advanced Institute of Science and Technology in Daejeon nutzten dazu Polyrotaxan-Molekülen mit rollenartigen Strukturen, mit denen sich eine Zerstörung des Akkus durch die während der Ladzyklen sich ausdehnenden und schrumpfenden Anode vermeiden ließ.
Abb.: Neue Kathoden für Lithium-Schwefel-Batterien: Die Nanopartikel aus Titanoxid weisen große Poren auf, in denen störende Polysulfide eingeschlossen werden. (Bild: HZB)
Ohne neue Batterien-Chemie bieten herkömmliche Lithium-Ionen-Akkus noch einiges an Optimierungspotenzial. Am Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme IKTS in Dresden gelang mit einem Bipolar-Prinzip die Steigerung der Batteriedichte, um mit Stapelakkus in E-Mobilen bis zu tausend Kilometer Reichweite zu erreichen. Schnellere Ladezeiten hatten Forscher am Institut für Nanotechnologie des KIT mit einem neuen Speichermaterial erzielt, das die sehr schnelle und reversible Einlagerung von Lithium-Ionen erlaubte. Mit dem organischen Molekül Porphyrin in ihrem Highspeed-Akku konnten sie Speicherkapazitäten von 130 bis 170 Milliamperestunden pro Gramm bei einer mittleren Spannung von drei Volt – und Be- und Entladungsdauern von nur einer Minute messen. Das schnurlose Aufladen im Blick, nutzte ein Physikerteam an der kalifornischen Stanford University eine induktive Stromübertragung auf der Basis der Spiegelung- und Zeitumkehrsymmetrie, kurz PT-Symmetrie, die dadurch sogar unabhängig von der Entfernung zwischen Akku und Lademodul wurde.
Effiziente Energiespeicher sind aber nicht nur für elektrischen Strom von großer Bedeutung für das zukünftige Energiesystem. Auch thermische Speicher sollen die Nutzung von erneuerbaren Energien im Wärmesektor voranbringen. Materialforscher in der Schweiz setzten auf konzentrierte Natronlauge, die sich über Monate oder gar Jahre aufbewahren oder in Tanks zu einem gewünschten Ort transportieren ließe. Bringt man sie mit Wasser (-dampf) in Kontakt, wird die in den Sommermonaten gespeicherte Wärme wieder freigesetzt. Abwärme von Industrieanlagen soll im Rahmen des Projekts GeoSpeicher.bw in unterirdischen, wasserführenden Schichten langfristig gespeichert werden. Die Wärme der Sonnenstrahlung im Sommer könnte effizient in mit Kanälen durchzogene Beton-Bauteile als solarthermische Kollektoren bis in den Winter gerettet werden, wie 2017 das Projekt Tabsolar II am Fraunhofer ISE belegte. Ob nicht flüssige Salze diese Aufgabe besser erledigen können, wird schon bald die DLR-Pilotanlage Tesis zeigen. 2017 eingeweiht, zirkulieren in dem Großpeicher etwa einhundert Tonnen flüssige Salze.
Abb.: In der Testanlage TESIS können Speichertechnologien anwendungsbezogen und in industriellem Maßstab weiterentwickelt werden. (Bild: DLR)
Für die langfristige Speicherung von überschüssigen Strom aus Wind- und Solaranlagen wird Wasserstoff zunehmend interessanter. So weihten 2017 die H&R Ölwerke Schindler die weltgrößte regelflexible Elektrolyse-Wasserstoff-Anlage ein, die mit einer elektrischen Leistung von fünf Megawatt jährlich mehrere hundert Tonnen Wasserstoff produzieren kann. Alternativ lässt sich Wasser auch mit Sonnenkraft direkt spalten. Das Potenzial dieser Methode wird seit 2017 mit der größten solarchemische Wasserspaltungs-Anlage in Almería ausgelotet. Günstige und effiziente Nano-Katalysatoren auf Perowskit-Basis – entwickelt am Paul-Scherrer-Institut – könnten die Elektrolyse von Wasser weiter optimieren. Forscher am Center for Advancing Electronics Dresden an der TU Dresden setzten dagegen auf spezielle Molybdän-Nickel-Katalysatoren und Berliner Forscher vom HZB auf Eisen-Nickel-Materialien, um die Effizienz der elektrolytischen Wasserspaltung zu erhöhen.
Ob in Zukunft auch Fusionsstrom zur Erzeugung von Wasserstoff genutzt wird, lässt sich heute noch nicht sagen. Doch die laufenden Projekte zur technischen Umsetzung der Kernfusion haben 2017 deutliche Fortschritte gemacht. Der Bau vom Fusionsreaktor ITER verläuft wie geplant ebenso wie erste Plasmaversuche privater Unternehmen. Die Plasmaexperimente an der Fusionsanlage Wendelstein 7-X im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik IPP in Greifswald haben nach längerer Umbaupause 2017 wieder begonnen. Die zusätzliche Ausrüstung hatte die Anlage fit für höhere Heizleistung und längere Pulse gemacht. An der National Ignition Facility am Lawrence Livermore National Laboratory war es einem Forscherteam gelungen, erstmals die Wirkungsquerschnitte bei der Fusion von je zwei Deuterium- bzw. Tritiumkernen bei Bedingungen zu studieren, wie sie im Zentrum massereicher Sterne vorliegen. Und einen völlig neuen Ansatz für eine Kernfusion mit theoretisch noch höherern Energieausbeute schlugen Marek Karliner von der Tel Aviv University und sein Kollege Jonathan L. Rosner von der University of Chicago vor. Ihre Berechnungen zeigten, dass die Neuanordnung schwerer Quarks in exotischen Elementarteilchen eine verblüffend positive Energiebilanz ermöglichen könnten.
Blutkreislauf als Kraftwerk
Fusionsreaktoren als den Giganten der Energietechnik standen 2017 auch viele Fortschritte bei den kleinstmöglichen Kraftwerken gegenüber. So wandelten aus Nanoröhrchen gesponnene und verzwirbelte Garne verblüffend effizient mechanische in elektrische Energie um. Forscher an der University of Texas in Dallas erzielten mit ihren Prototypen eine hohe, rechnerische Leistung von bis zu 250 Watt pro Kilogramm. An der chinesischen Fudan Universität erzeugte ein eindimensionaler, hocheffizienter Nanogenerator Strom aus fließenden Medien. Damit ließe sich sogar die Energie des Blutstroms in Blutgefäßen in Elektrizität umwandeln.
Abb.: Mikroskopaufname der verdrillten Fasern aus Kohlenstoffnanoröhrchen, die über Dehnungen elektrischen Strom erzeugen können. (Bild: U. Texas)
Superparamagnetische Nanoteilchen erhöhten in Experimenten an der Wuhan University of Technology, China, die Effizienz von Thermoelektrika, die Temperaturdifferenzen für die Stromerzeugung nutzten. Und am Zentrum für Materialforschung Empa in der Schweiz haben Wissenschaftler einen dünnen, organischen und elastischen Film entwickelt, der Strom produziert, wenn er auseinandergezogen oder zusammengepresst wird. Dieses Gummi-Kraftwerk könnte in der Nähe des Herzens implantiert werden, um aus den Herzschlägen Strom zu erzeugen. Ebenfalls aus Elastomeren aufgebaut, wird eine dehnbare Folie von Fraunhofer-Forschern am Institut für Silicatforschung ISC wohl schneller zur Anwendung kommen, um die mechanische Energie von Wasserströmungen in kleinen Flüssen direkt in elektrische Energie umzuwandeln.
Jan Oliver Löfken
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