12.10.2020

Spaltprozesse superschwerer Kerne

Mendelevium-244 – bisher unbekannter Kern im FAIR-Experimentierprogramm hergestellt.

Die limitierenden Faktoren für die Existenz stabiler, superschwerer Elemente immer besser zu verstehen, ist seit Jahrzehnten ein Anliegen der Chemie und der Physik. Superschwere Elemente, wie die chemischen Elemente mit Ordnungs­zahlen größer als 103 genannt werden, werden künstlich mithilfe von Teilchen­beschleunigern hergestellt. Innerhalb von Sekunden zerfallen sie. Neue Erkenntnisse zu den Spaltprozessen in solchen exotischen Kernen hat ein Team von Wissenschaftlern des GSI Helmholtz­zentrums für Schwerionen­forschung Darmstadt, der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, des Helmholtz-Instituts Mainz und der Universität Jyväskylä, Finnland, unter der Leitung von Jadambaa Khuyag­baatar geliefert und dazu den bisher unbekannten Kern Men­delevium-244 hergestellt. Die Untersuchungen waren Teil der „FAIR-Phase 0“, der ersten Stufe des FAIR-Experimentierprogramms.

Abb.: Fokal­ebenen-Detektor des Tasca-Separators, in den das Men­delevium-244...
Abb.: Fokal­ebenen-Detektor des Tasca-Separators, in den das Men­delevium-244 implantiert und sein Zerfall registriert wurde. (Bild: A. Yakushev, GSI)

Schwere und superschwere Kerne sind zunehmend instabil gegenüber der Kernspaltung, bei der sich der Kern in zwei leichtere Fragmente spaltet. Dies liegt an der immer stärkeren Coulomb-Abstoßung zwischen der großen Anzahl positiv geladener Protonen in solchen Kernen und ist eine der Haupt­einschränkungen für die Existenz stabiler superschwerer Kerne. Die meisten experimentellen Daten über die Spontan­spaltung gibt es für Kerne mit gerader Anzahl von Protonen und Neutronen. Diese Gerade-gerade Kerne bestehen ausschließlich aus Protonen- und Neutronenpaaren, und ihre Spalteigenschaften sind durch theoretische Modelle recht gut beschreibbar. Bei Kernen mit einer ungeraden Anzahl von entweder Neutronen oder Protonen wurde eine Behinderung des Spalt­prozesses im Vergleich zu den Eigenschaften gerad­zahliger Kerne beobachtet und auf den Einfluss eines solchen einzelnen, ungepaarten Bestandteils im Kern zurückgeführt.

Weniger bekannt ist jedoch die Spalt­behinderung in Kernen, die sowohl eine ungerade Anzahl von Protonen als auch eine ungerade Anzahl von Neutronen enthalten. Die verfügbaren experimentellen Daten deuten darauf hin, dass der Spontanspalt­prozess in solchen Kernen stark behindert wird, noch mehr als in Kernen mit einer ungeraden Anzahl von nur einer Sorte von Bestandteilen. Wenn die Spalt­wahrscheinlichkeit sehr stark reduziert ist, werden andere radioaktive Zerfallsarten wie Alpha- oder Betazerfall wahrscheinlich. Beim Betazerfall verwandelt sich ein Proton in ein Neutron oder umgekehrt und folglich verwandeln sich ungerade-ungerade Kerne in gerade-gerade Kerne, die typischerweise eine hohe Spaltwahr­scheinlichkeit haben. Dementsprechend ist im Fall, dass während der Produktion eines ungerade-ungerade Kerns eine Spaltaktivität beobachtet wird, oft schwierig zu erkennen, ob die Spaltung in dem ungerade-ungeraden Kern stattfand oder eher vom im Betazerfall bevölkerten gerade-geraden Tochterkern ausging, der dann eine beta-verzögerte Spaltung durchlaufen kann. Kürzlich hat Jadambaa Khuyagbaatar voraus­gesagt, dass dieser beta-verzögerte Spaltprozess für die schwersten Kerne sehr relevant und in der Tat eine der wichtigsten Zerfalls­arten von beta-zerfallenden superschweren Kernen sein könnte.

In superschweren Kernen, die experimentell äußerst schwierig herzustellen sind, ist der Betazerfall noch nicht schlüssig beobachtet worden. So wurden zum Beispiel im Falle des schwersten bei GSI in Darmstadt produzierten Elements Tenness (Element 117) in einem etwa einen Monat dauernden Experiment nur zwei Atome des ungeraden Kerns Tenness-294 beobachtet. Diese geringen Produktions­raten schränken den Nachweis und die detaillierte Unter­suchung des verzögerten Spaltprozesses durch Betazerfall ein. Dennoch lassen sich neue experimentelle Daten, die Aufschluss über diesen Prozess geben, am besten in exotischen Kernen gewinnen, beispielsweise in solchen, die ein extrem unaus­gewogenes Verhältnis von Protonen zu Neutronen aufweisen. Dazu hat das Team den bisher unbekannten Kern Mendelevium-244, einen ungerade-ungeraden Kern aus 101 Protonen und 143 Neutronen, hergestellt.

Die theoretische Schätzung geht davon aus, dass auf den Betazerfall dieses Kerns in etwa einem von fünf Fällen eine Kernspaltung folgen wird. Aufgrund der großen Energie­freisetzung des Spalt­prozesses kann dieser mit hoher Empfindlichkeit nachgewiesen werden, während Betazerfälle schwieriger zu messen sind. Die Forscher verwendeten einen intensiven Ionenstrahl aus Titan-50, der am GSI-UNILAC-Beschleuniger zur Verfügung steht, und bestrahlten damit ein Goldtarget. Die Reaktionsprodukte von Titan- und Goldkernen wurden im „TransActinide Separator and Chemistry Apparatus“ TASCA getrennt, der Mendelevium­kerne in einen Silizium­detektor leitete, der geeignet war, die Implantation der Kerne sowie ihren anschließenden Zerfall zu registrieren.

Ein erster Teil der Studien vor zwei Jahren führte zur Beobachtung von sieben Atomen von Men­delevium-244. Im Jahr 2020 verwendeten die Forscher eine niedrigere Titan-50-Strahlenergie, die nicht ausreichte, um Mendelevium-244 herzustellen. Tatsächlich fehlten in diesem Teil des Datensatzes Signale, wie sie Mendelevium-244 in der Studie von 2018 zugeordnet wurden, was die korrekte Zuordnung der Daten von 2018 und damit die Entdeckung des neuen Isotops bestätigte. Alle sieben regis­trierten Atomkerne durchliefen einen Alphazerfall, das heißt, die Emission eines Helium-4-Kerns, der zu dem Tochter­isotop Einsteinium-240 führte, das vor vier Jahren durch ein voran­gegangenes Experiment an der Universität Jyväskylä entdeckt wurde. Der Betazerfall wurde nicht beobachtet, was die Festlegung einer Obergrenze für diesen Zerfallsmodus von vierzehn Prozent erlaubt. Wenn die zwanzig­prozentige Spaltwahr­scheinlichkeit aller Beta-Zerfallstöchter korrekt wäre, läge die Gesamtwahr­scheinlichkeit für eine beta-verzögerte Spaltung bei höchstens 2,8 Prozent, und ihre Beobachtung würde die Produktion von wesentlich mehr Mendelevium-244-Atomen als in diesem Entdeckungs­experiment erfordern.

Zusätzlich zu dem alpha-zerfallenden Mendelevium-244 fanden die Forscher Signale von kurzlebigen Spalt­ereignissen mit unerwarteten Merkmalen hinsichtlich ihrer Anzahl, Produktions­wahrscheinlichkeit und Halbwertszeit. Ihr Ursprung kann derzeit nicht genau bestimmt werden und ist mit dem derzeitigen Wissen über die Produktion und den Zerfall von Isotopen in der Region von Mendelevium-244 auch nicht ohne Weiteres erklärbar. Dies motiviert zu Folgestudien, um detaillier­tere Daten zu erhalten, die dazu beitragen werden, den Spaltprozess in ungeraden Kernen weiter zu beleuchten.

GSI / JOL

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