Theoretisch galt es als möglich, der praktische Beleg allerdings fehlte: Forscher der Uni Erlangen-Nürnberg haben erstmals im Experiment nachgewiesen, dass Elektronenströme ebenso wie Licht an sphärischen und zylindrischen Partikeln elastisch gestreut werden können. Da der Effekt robust ist und auch bei Raumtemperatur zuverlässig funktioniert, könnte er die Basis für neue elektrische Metamaterialien und für Bauteile der sensorischen Steuerung sein.
Der deutsche Physiker Gustav Mie wies vor über hundert Jahren mit einer Suspension von Goldnanopartikeln nach, dass Licht an kugelförmigen Objekten elastisch gestreut wird, wenn der Durchmesser der Objekte in etwa der Wellenlänge der Strahlung entspricht. Dieser Mie-Effekt zeigt sich beispielsweise an Nebel und Wolken, die weiß aussehen, weil das gesamte optische Spektrum des einfallenden Lichts in den Tröpfchen des Wasserdampfs nach vorn gestreut wird. Partikel, die deutlich kleiner sind als die Wellenlänge des Lichts, etwa Luftmoleküle, streuen das hochfrequente blaue Licht stärker als das niederfrequente rote – deshalb erscheint der Himmel blau.
Seit Jahren vermuten Wissenschaftler, dass sich der Mie-Effekt auf elektronische Prozesse übertragen lässt. „Bezüglich Energie und Impuls verhalten sich Elektronen in bestimmten Materialien ähnlich wie Licht“, erklärt Vojislav Krsti vonder Uni Erlangen-Nürnberg. „Allerdings konnte die Mie-artige Streuung von Elektronen bislang nicht nachgewiesen werden.“ Das ist Krsti und seinen Kollegen jetzt gelungen. Dafür haben die Forscher Metallscheibchen mit einer Stärke von etwa fünfzig Nanometern und hundert Nanometern Durchmesser auf Graphen aufgedampft. „Im Grunde haben wir das Mie-Experiment in eine zweidimensionale Anordnung gebracht“, so Krsti. „Statt der in einer Suspension schwimmenden Goldpartikel haben wir ein symmetrisches Raster aus Titan- und Palladiumscheibchen verwendet, und die Elektronen des zweidimensionalen Graphens ersetzen die Lichtwellen.“
Die Forscher haben durch die Graphen-Metallraster-Probe einen konstanten Strom fließen lassen, wodurch der Impuls für die Bewegung der Kohlenstoff-Elektronen vorgegeben wurde. Der Grundgedanke in Analogie zur Optik: Durch Streuung der Elektronen – die quantenphysikalisch auch als Wellen aufgefasst werden können – an einem Metallscheibchen wird eine neue, räumlich symmetrisch fortlaufende Wellenfront erzeugt, die wiederum auf weitere Punkte im Metallraster trifft. Liegen die Metallscheibchen nicht parallel zur Fließrichtung des Stroms, sondern wie im Experiment um dreißig Grad gedreht, dann werden die entstehenden Wellen kaskadenartig zu einer Seite hin abgelenkt. „Im Endeffekt befinden sich – quer zur Stromrichtung gesehen – auf einer Seite mehr Elektronen als auf der anderen“, erklärt Krsti. „Und das bedeutet, es liegt eine messbare Spannung an.“ Diese Transversalspannung haben Krsti und seine Kollegen zuverlässig gemessen und damit den experimentellen Nachweis erbracht, dass für Ströme aus Elektronen mit direkt proportionaler Beziehung zwischen Energie und Impuls dieselben Prinzipien gelten wie für die Streuung von Lichtwellen an sphärischen Objekten.
Besonders wichtig ist den Forschern, dass das Experiment sehr robust ist und weder ein Vakuum noch extrem niedrige Temperaturen erfordert. „Unsere Ergebnisse könnten schon bald die Grundlage für elektrische Metamaterialien sein – also Materialien, die gezielt hergestellte nicht-lineare elektrische Eigenschaften haben und somit schaltbare bandbreitige Stromfrequenzmodulationen ermöglichen“, sagt Krsti. „Darüber hinaus könnte der Effekt für die Entwicklung von umschaltbaren Stromteilern oder Sensoren genutzt werden – ähnlich den Hall-Sensoren, die bereits heute zuverlässig als berührungs- und kontaktlose Signalgeber und Strommesser arbeiten. Die Phänomenologie ist identisch.“
FAU / RK