29.11.2021

Spin-Wechselwirkung gehorcht dem Protokoll

Präparierte Spins per Floquet-Engineering über lange Zeit in kontrolliertem Zustand gehalten.

Die Kräfte zwischen Teilchen, Atomen, Molekülen oder sogar makroskopischen Objekten wie Magneten sind durch die Wechsel­wirkungen der Natur festgelegt. So richten sich zum Beispiel zwei nahe beieinanderliegende Stabmagnete unter der Wirkung magnetischer Kräfte neu aus. Einem Team um Matthias Weidemüller und Gerhard Zürn am Zentrum für Quantendynamik der Universität Heidelberg ist es nun gelungen, nicht nur die Stärke, sondern auch die Art der Wechselwirkung zwischen mikroskopischen Spins gezielt zu verändern. Anstatt in einen Zustand vollständiger Unordnung zu verfallen, können die speziell präparierten Magnete ihre ursprüngliche Ausrichtung über einen langen Zeitraum aufrechterhalten. Damit haben die Heidelberger Physiker erfolgreich eine programmier­bare Kontrolle der Wechselwirkung in isolierten Quanten­systemen demonstriert.

 

Abb.: Die linke Abbildung zeigt eine ungeordnete Ansammlung von klassischen...
Abb.: Die linke Abbildung zeigt eine ungeordnete Ansammlung von klassischen Magneten in einem stabilen Gleich­gewicht. Rechts verhindert Floquet-Engineering die Neu­ausrichtung der Magnete. (Bild: S. Geier)

Magnetische Systeme können überraschendes Verhalten zeigen, wenn sie in einer instabilen Konfiguration präpariert werden. Wird beispielsweise eine Ansammlung räumlich ungeordneter magnetischer Dipole, wie etwa Stabmagnete, in dieselbe Richtung eingestellt, führt dies zu einer anschließenden Neuausrichtung der Magnete. Diese Dynamik mündet schließlich in eine Gleichgewichtskonfiguration, bei der alle Magnete zufällig ausgerichtet sind. Während sich in der Vergangenheit die meisten Untersuchungen auf klassische magnetische Dipole beschränkten, ist es seit kurzem möglich, die Ansätze mit Hilfe von Quanten­simulatoren auf Quanten-Magnete auszuweiten: Synthetische atomare Systeme ahmen die grundlegende Physik magnetischer Phänomene in einer extrem gut kontrollierten Umgebung nach, in der alle relevanten Parameter nahezu nach Belieben eingestellt werden können.

Für ihre Quantensimulations­experimente verwendeten die Forscher ein Gas aus Atomen, das auf eine Temperatur nahe dem absoluten Nullpunkt abgekühlt wurde. Mithilfe von Laserlicht wurden die Atome in extrem hohe elektronische Zustände angeregt, die das Elektron um nahezu makroskopische Abstände vom Atomkern trennen. Diese Rydberg-Atome stehen in Wechselwirkung über Distanzen von fast Haaresbreite miteinander. „Ein Ensemble von Rydberg-Atomen weist genau die gleichen Eigenschaften auf wie wechselwirkende ungeordnete Quanten-Magnete, was es zu einer idealen Plattform für die Simulation und Erforschung des Quanten­magnetismus macht“, sagt Nithiwadee Thaicharoen, die als Postdoktorandin in Weidemüllers Team tätig war und mittlerweile als Professorin in Thailand forscht.

Der wesentliche Trick der Heidelberger Physiker bestand darin, die Dynamik der Quanten-Magnete zu steuern, indem sie Methoden aus dem Feld der Kernspinresonanz übernahmen. In ihren Experimenten nutzen die Wissenschaftler speziell entworfene periodische Mikrowellen­pulse, um den atomaren Spin zu verändern. Eine große Heraus­forderung bestand darin, die Wechselwirkung der Spins mithilfe dieser Technik des Floquet-Engineering präzise zu kontrollieren. „Die Mikrowellenpulse mussten auf Zeitskalen von einer Milliardstel Sekunde auf die Rydberg-Atome angewendet werden, wobei diese Atome zugleich sehr empfindlich auf jede noch so kleine äußere Störung wie winzige elektrische Felder reagieren“, so Post­doktorand Clément Hainaut, der kürzlich an die Universität Lille (Frankreich) gewechselt ist. „Dennoch gelang es auf diesem Weg, die scheinbar unausweichliche Neuausrichtung des Spins zum Stillstand zu bringen und eine makroskopische Magnetisierung unter der Wirkung unseres Kontrollprotokolls aufrecht zu erhalten“, erläutert Doktorand Sebastian Geier. „Mit unserem Ansatz des Floquet-Engineering sollte es nun möglich sein, die zeitliche Entwicklung des Spinsystems umzukehren, nachdem es eine sehr komplexe Dynamik durchlaufen hat. Das wäre so, als würde sich ein zerbrochenes Glas auf magische Weise wieder zusammen­setzen, nachdem es auf den Boden gefallen ist.“

Die Arbeiten sind ein wichtiger Schritt, um grundlegende Prozesse in komplexen Quanten­systemen besser zu verstehen. „Nach der ersten und zweiten Quanten­revolution, die zum Verständnis der Systeme und zur präzisen Kontrolle einzelner Objekte geführt haben, sind wir zuversichtlich, dass unsere Technik der dynamischen, programmierbaren Einstellung von Wechsel­wirkungen einen Beitrag auf dem Weg zu Quanten­technologien 3.0 leistet“, betont Matthias Weidemüller, Professor am Physikalischen Institut und Leiter des Zentrums für Quantendynamik der Universität Heidelberg.

Die Untersuchungen wurden im Rahmen des Exzellenz­clusters Structures und des Sonder­forschungs­bereichs „Isolierte Quantensysteme und Universalität unter extremen Bedingungen“ (Isoquant) der Universität Heidelberg durchgeführt. Eingebunden sind die Forschungen zudem in PASQuans, die „Programmable Atomic Large-Scale Quantum Simulation“-Kollaboration innerhalb des europäischen Quantum Technologies Flagship.

U. Heidelberg / DE

 

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