21.02.2014

Spucke aus dem Gleichgewicht

Rotwein mundet vielen, hinterlässt aber manchmal ein unangenehm pelziges Gefühl. Ein Fall für die Proteinphysik.

Wohltemperierte, tanninreiche Rotweine sind willkommene Begleiter von Gänsebraten, Schmorgerichten und anderen deftigen Genüssen. Empfindliche Zungen kommen aber mit der Adstringenz, also dem zusammenziehenden, leicht pelzigen Gefühl im Mund, kaum zurecht. Was steckt dahinter?

Die Schalen und Kerne der Trauben enthalten eine ganze Reihe von Tanninen, sogenannte Polyphenole, die sich durch bestimmte molekulare Eigenschaften auszeichnen. Der Begriff Phenol deutet auf chemische Verbindungen hin, die Benzolringe enthalten. Ohne auf die genaue Chemie einzugehen, sind alle Tannine relativ gut wasserlöslich, wie es sich an vielen Hydroxylgruppen an den „Molekülrändern“ zeigt (Abbildung 1). Soweit der Wein.

Abb. 1 Das Tannin Catechin (oben) ist wegen der OH-Gruppen wasserlöslich.

Im Mund befindet sich Speichel. Diese überaus nützliche Flüssigkeit besteht hauptsächlich aus Wasser und darin gelösten Proteinen, zum Beispiel Mucinen. Sie verleihen dem Speichel seine zähe, leicht schleimige Konsistenz. Diese Proteine sind lange Ketten aus Aminosäuren, die relativ viele Seitenketten aus Zuckern besitzen. Die Hauptkette der „haarigen“ Proteine enthält einen hohen Anteil der Aminosäure Prolin, daher sind Speichelproteine kaum strukturiert, sie bilden keine regelmäßigen Strukturen (Abbildung 2).

Abb. 2 Speichelproteine bestehen aus einer Hauptkette und zuckerartigen Seitenketten.

Wenn auf der Zunge Tannine auf Speichelproteine treffen, lagern sich Tannine mit ihren polaren Gruppen an die Speichelproteine an (Abbildung 3). Bei geringer Tanninkonzentration ist dies eher von nebensächlicher Bedeutung. Bei höheren Konzentrationen bilden sich über Tannine vermittelte Wasserstoffbrückenbindungen größere Aggregate der Speichelproteine. Diese sperrigen Molekülverbände sind weniger beweglich und verändern somit die Viskosität des Speichels auf der Zunge. Gleichzeitig fällen die Aggregate aus: Die Zunge fühlt sich rau und pelzig an.

Tannine binden sich an Speichelproteine, die aggregieren und fällen.

Einfache Experimente zeigen eine für das bloße Auge sichtbare Trübung, wenn einer Tanninlösung Speichel zugefügt wird. Die Aggregatbildung der Speichelproteine, welche die Viskosität der Lösung verändert, lässt sich im Labor genauer mit konfokaler Lasermikroskopie beobachten.

In Rotweinsaucen machen daher tanninreiche Weine nur bedingt eine gute Figur. Tannine verstärken die Wirkung der Bitterstoffe, und zusammen mit der Adstringenz ist dies nicht immer im Sinne ausbalancierter, sämiger Saucen.

Diese stark adstringierenden Effekte auf der Zunge betreffen auch Liebhaber grüner und schwarzer Tees, die in der japanischen Küche gern zum Essen getrunken werden. Aber auch Walnüsse sind reich an Polyphenolen und fällen Speichelproteine aus. Sensorik hat daher immer starke physikalische Komponenten auf Nanoskalen.

Thomas Vilgis, MPI für Polymerforschung, Mainz

Der Originalbeitrag ist in der aktuellen Ausgabe von Physik in unserer Zeit erschienen.

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