07.11.2023

Sternenstaub im Spektrometer

Massenspektrometrie seltener Isotope gibt Aufschluss über vergangene Supernovae.

Explodieren massereiche Sterne oder andere stellare Objekte in der kosmischen Nachbarschaft der Erde, kann dabei ausgeschleudertes Material auch unser Sonnensystem erreichen. Spuren dieser Ereignisse finden sich auf der Erde oder dem Mond und lassen sich mit der Beschleuniger-Massenspektrometrie oder kurz AMS genannten Methode nachweisen. Einen Überblick über diese Forschung liefert nun Anton Wallner vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) in einer Studie. Er will diesen vielversprechenden Forschungszweig bald auch mit der neuen, extrem empfindlichen AMS-Anlage „HAMSTER“ entscheidend vorantreiben.


Abb.: Die Ferromangan-Kruste aus dem Pazifischen Ozean enthält interstellare...
Abb.: Die Ferromangan-Kruste aus dem Pazifischen Ozean enthält interstellare Atome aus einem Zeitraum von mehr als 20 Millionen Jahren. Die Münze als Maßstab hat einen Durchmesser von 3,2 cm.
Quelle: D. Koll, HZDR

In dem Fachartikel gibt der HZDR-Physiker Anton Wallner gemeinsam mit seinem Kollegen Brian D. Fields von der University of Illinois im US-amerikanischen Urbana einen Überblick über erdnahe kosmische Explosionen mit speziellem Fokus auf Ereignisse, die vor drei beziehungsweise sieben Millionen Jahren stattfanden. „Zum Glück waren diese Ereignisse noch weit genug entfernt, sodass sie wohl keinen signifikanten Einfluss auf das Erdklima oder größere Auswirkungen auf die Biosphäre hatten. Richtig ungemütlich wird es bei kosmischen Explosionen in einer Entfernung von bis zu dreißig Lichtjahren“, erklärt Wallner. Umgerechnet in die astrophysikalische Einheit Parsec entspricht dies weniger als acht bis zehn Parsec.

Sobald massereiche Sterne ihren gesamten Brennstoff verfeuert haben, kollabiert ihr Kern zu einem extrem kompakten Neutronenstern oder zu einem schwarzen Loch, während gleichzeitig heißes Gas mit hoher Geschwindigkeit nach außen geschleudert wird. Eine sich ausdehnende Schockwelle nimmt einen großen Teil des zwischen den Sternen fein verteilten Gases und Staubs mit. Wie ein gigantischer Luftballon mit Beulen und Dellen sammelt diese Hülle auch schon vorhandenes Material aus dem Weltraum auf. Nach vielen Tausenden von Jahren haben sich die Reste einer Supernova auf einen Durchmesser von mehreren Dutzend Parsec ausgedehnt, breiten sich immer langsamer aus, bis die Bewegung schließlich ausklingt.

Eine nahe Explosion könnte einen gravierenden Effekt auf die Biosphäre der Erde haben und ein Massensterben verursachen ähnlich wie etwa der Asteroideneinschlag vor 66 Millionen Jahren. Diesem fielen die Dinosaurier und viele weitere Tierarten zum Opfer. „Betrachtet man den Zeitraum seit Bildung des Sonnensystems, der sich über Milliarden Jahre erstreckt, können sehr nahe kosmische Explosionen nicht ausgeschlossen werden“, betont Wallner. Immerhin treten Supernovae nur bei sehr schweren Sternen mit mehr als acht- bis zehnfacher Masse unserer Sonne auf. Derartige Sterne sind selten. Einer der nächsten Kandidaten dieser Größenklasse ist Betelgeuse im Sternbild Orion, der sich mit rund 150 Parsec in sicherer Entfernung vom Sonnensystem befindet.

Bei den kosmischen Explosionen oder kurz vor und während der Supernova werden viele neue Atome frisch gebildet – unter ihnen auch eine Reihe radioaktiver Atome. Besonders interessiert sich Wallner für das radioaktive Eisen-Isotop mit der Atom-Masse 60. Von diesen Fe-60 genannten Isotopen haben sich etwa die Hälfte aller Atome nach 2,6 Millionen Jahren in ein stabiles Nickel-Isotop verwandelt. Daher ist heute alles Fe-60, das schon bei der Entstehung der Erde vor rund 4500 Millionen Jahren vorhanden war, längst verschwunden. „Fe-60 ist auf der Erde extrem selten, da es auf natürliche Weise nicht signifikant produziert wird. Es wird aber in großen Mengen direkt vor einer Supernova-Explosion erzeugt. Taucht nun in Sedimenten der Tiefsee oder im Material von der Oberfläche des Mondes dieses Isotop auf, stammt es von einer Supernova oder einem anderen, ähnlichen Prozess im Weltraum, der erst vor einigen Millionen Jahren in der Nähe der Erde stattgefunden haben sollte“, fasst Wallner zusammen.

Vergleichbares gilt auch für das Plutonium-Isotop mit der Masse 244. Dieses Pu-244 entsteht allerdings vermutlich eher beim Zusammenstoß von Neutronensternen als bei Supernovae. Damit ist es ein Indikator für die Nukleosynthese schwerer Elemente. Nach einer Zeit von 80 Millionen Jahren hat sich ungefähr die Hälfte des Isotops Pu-244 in andere Elemente verwandelt. Deshalb ist das langsam zerfallende Pu-244 neben dem Fe-60 ein weiterer Indikator für galaktische Ereignisse und die Produktion neuer Elemente in den letzten Millionen Jahren.

„Wie häufig, wo und unter welchen Bedingungen genau diese schweren Elemente produziert werden, wird derzeit heiß in der Wissenschaft diskutiert. Das Plutonium-244 benötigt ebenfalls explosive Ereignisse und entsteht laut Theorie ähnlich wie die seit jeher natürlich auf der Erde vorkommenden Elemente Gold oder Platin, die nun aus stabilen Atomen bestehen“, erklärt Wallner.

Aber wie kommen diese Isotope überhaupt bis zur Erde? Die von der Supernova ausgeschleuderten Fe-60-Atome sammeln sich gern in Staubkörnern. Das tun auch die – möglicherweise bei anderen Ereignissen entstandenen – Pu-244-Isotope, die von der sich ausbreitenden Hülle der Supernova aufgefegt werden. Bei kosmischen Explosionen in mehr als zehn, aber weniger als 150 Parsec Entfernung verhindern laut Theorie der Sonnenwind wie auch das Magnetfeld der Heliosphäre ein Vordringen einzelner Atome bis zur Erde, doch die in Staubkörnchen eingeschlossenen Fe-60- und Pu-244-Atome fliegen weiter Richtung Erde und Mond und können dort schließlich auf die Oberfläche herunterrieseln.

Selbst bei einer Supernova innerhalb des „Kill-Radius“ von weniger als zehn Parsec landet auf jedem Quadratzentimeter nicht einmal ein Mikrogramm Materie aus der Hülle. Von dem Fe-60 kommen pro Quadratzentimeter überhaupt nur ein paar Atome pro Jahr auf die Erde. Das stellt „Ermittler“ wie den Physiker Anton Wallner vor eine gewaltige Herausforderung: In einer ein Gramm schweren Probe aus dem Sediment verteilen sich vielleicht ein paar 1000 Fe-60-Atome wie Stecknadeln in einem Heuhaufen in einer Menge von Milliarden mal Milliarden der allgegenwärtigen und stabilen Eisenatome mit der Atom-Masse 56. Obendrein erfasst selbst die empfindlichste Messmethode vielleicht nur jedes fünftausendste Teilchen, also maximal jeweils nur ein paar Fe-60-Atome in einer typischen Messprobe.

Bestimmen kann man solch extrem geringe Konzentrationen nur mit der Beschleuniger-Massenspektrometrie, die nach dem englischen Begriff „Accelerator Mass Spectrometry“ mit AMS abgekürzt wird. Eine dieser Anlagen steht mit DREAMS, der Dresdner AMS, am HZDR, dazu kommt demnächst die Anlage HAMSTER (Helmholtz Accelerator Mass Spectrometer Tracing Environmental Radionuclides). Da AMS-Anlagen weltweit teils unterschiedlich ausgelegt sind, können sich verschiedene Anlagen ergänzen bei der Fahndung nach den seltenen Isotopen aus Supernova-Explosionen.

Isotope des gleichen Elements, die aber wie das auf der Erde natürlich vorkommende Fe-56 eine andere Masse haben, werden mit Massefiltern entfernt. Ebenso stören Atome eines anderen Elements mit der gleichen Masse wie das Untersuchungsobjekt Fe-60, also zum Beispiel das natürlich vorkommende Nickel-60. Selbst nach einer sehr aufwendigen chemischen Aufbereitung der Proben sind sie immer noch milliardenfach häufiger als Fe-60 und müssen in einer speziellen Beschleuniger-Anlage mit den Methoden der Kernphysik abgetrennt werden. Bis dann am Ende vielleicht fünf einzelne Fe-60-Atome in einer einige Stunden dauernden Messung dingfest gemacht werden. Pionierarbeit zum Nachweis von Fe-60 leistete die TU München. Zurzeit gibt es jedoch nur eine Anlage weltweit, die empfindlich genug ist für diese Messungen, und zwar in Canberra an der Australian National University.

Insgesamt hat man in den vergangenen zwanzig Jahren gerade einmal rund tausend Fe-60-Atome gemessen. Für das interstellare Pu-244 lagen wegen der nochmals mehr als 10.000-fach niedrigeren Konzentration lange nur Daten für einzelne Atome vor. Erst vor kurzem ist es gelungen, an einer speziellen Infrastruktur in Sydney, die der im Aufbau befindlichen HAMSTER-Anlage am HZDR ähnelt, etwa hundert Pu-244-Atome zu bestimmen. Für die Untersuchungen eignen sich allerdings nur bestimmte Proben, die als Archive die aus dem Weltraum kommenden Atome für Jahrmillionen konservieren. So werden kosmische Isotope auf der Erdoberfläche durch geologische Prozesse rasch „verdünnt“. Ideal sind Sedimente und Krusten aus der Tiefsee, die sich ungestört am Meeresboden langsam bilden. Oder Proben von der Mondoberfläche, weil störende Prozesse dort kaum eine Rolle spielen.

Während einer Forschungsreise bis Anfang November 2023 hat sich Wallner mit Kollegen in Australien auf die Jagd nach weiteren kosmischen Isotopen gemacht – in Canberra fahndete er nach Fe-60-, in Sydney nach PU-244-Atomen. Dafür hat er von der US-Weltraumorganisation NASA eine Reihe von Mond-Proben erhalten. „Parallel finden auch Messungen am HZDR statt. Die einzigartigen Proben erlauben es uns, neue Erkenntnisse über Supernova-Explosionen in der Nähe der Erde, aber auch über die in diesen und anderen Prozessen entstehenden schwersten Elemente in unserer Galaxie zu gewinnen“, ist sich Wallner sicher.

HZDR / DE


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