17.10.2022 • Energie

Stromversorgung: Instabile Netze verstehen

Vorhersageinstrument für das Braess-Paradoxon bei der Erweiterung von Stromnetzen entwickelt.

Die nachhaltige Trans­formation des Energie­systems erfordert einen Ausbau der Netze, um regene­rative Quellen einzubinden und Strom über weite Strecken zu trans­portieren. Dieser Ausbau verlangt große Investi­tionen und zielt darauf ab, die Netze stabiler zu machen. Durch das Aufrüsten bestehender oder das Hinzufügen neuer Leitungen kann es aber auch geschehen, dass das Netz nicht stabiler, sondern instabiler wird und es zu Stromaus­fällen kommt. „Wir sprechen dann vom Braess-Paradoxon. Dieses besagt, dass eine zusätzliche Option anstatt zur Verbesserung zur Verschlech­terung der Gesamt­situation führt“, sagt Benjamin Schäfer vom Karlsruher Institut für Technologie.

Abb.: Ein stabiles Strom­netz ist grund­legend für ein zu­ver­läs­siges...
Abb.: Ein stabiles Strom­netz ist grund­legend für ein zu­ver­läs­siges und nach­haltiges Energie­system. (Foto: M. Breig, KIT)

Benannt ist das Phänomen nach dem deutschen Mathematiker Dietrich Braess, der es erstmals für Straßen­verkehrs­netze erörterte: Unter bestimmten Bedingungen kann der Bau einer neuen Straße die Fahrzeit für alle Verkehrs­teil­nehmer verlängern. Dieser Effekt wurde in Verkehrs­systemen beobachtet und für biologische Systeme diskutiert, für Stromnetze aber bisher nur theoretisch prognos­tiziert und in sehr kleinem Maßstab dargestellt.

Das Phänomen hat ein inter­nationales Forscher­team um Schäfer jetzt erstmals im Detail für Stromnetze simuliert sowie in größerem Maßstab demonstriert. Die Wissen­schaftler nahmen eine Simulation des Stromnetzes in Deutschland einschließlich geplanter Verstärkungen und Ausbauten vor. Bei einem Versuchs­aufbau im Labor, der das Braess-Paradoxon in einem Wechsel­stromnetz zeigt, beobachteten die Forscher das Phänomen in der Simulation sowie im Experiment. Wesentlich dabei war eine Betrachtung von Kreisflüssen. Denn diese sind entscheidend, um das Braess-Paradoxon zu verstehen: Eine Leitung wird verbessert, indem beispiels­weise der Widerstand verringert wird, und kann daraufhin mehr Strom trans­portieren.

„Aufgrund von Erhaltungs­sätzen gibt es dadurch effektiv einen neuen Kreisfluss, und in manchen Leitungen fließt mehr, in anderen weniger Strom“, erläutert Schäfer. „Zum Problem wird dies, wenn die schon am meisten belastete Leitung nun noch mehr Strom führen muss, die Leitung damit überlastet wird und still­gelegt werden muss. Dadurch wird das Netz instabiler und bricht schlimmsten­falls zusammen.“

Die meisten Stromnetze verfügen über ausreichende Reserve­kapazitäten, um dem Braess-Paradoxon stand­zu­halten. Beim Bau neuer Leitungen und während des Betriebs prüfen die Netz­betreiber alle möglichen Szenarien. Wenn allerdings kurz­fristig Entscheidungen zu treffen sind, beispiels­weise um Leitungen still­zulegen oder Kraftwerks­leistungen zu verschieben, genügt die Zeit nicht immer, um alle Szenarien durch­zu­rechnen. „Dann bedarf es eines intuitiven Verständnisses von Kreisflüssen, um einschätzen zu können, wann das Braess-Paradoxons auftritt und so schnell die richtigen Entscheidungen zu treffen“, sagt Schäfer.

Das Team hat deshalb ein Vorhersage­instrument entwickelt, das Netz­betreiber dabei unterstützt, das Braess-Paradoxon bei ihren Entscheidungen zu berück­sichtigen. Die Ergebnisse der Forschung ermöglichten nun das theoretische Verständnis des Braess-Paradoxons und lieferten praktische Leitlinien, um Netz­erwei­terungen sinnvoll zu planen und die Stabilität des Netzes zu unter­stützen, so Schäfer.

KIT / RK

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