Supercomputer ohne Abwärme
Parallel orientierte Elektronenpaare könnten Informationsübertragung per Supraleiter ermöglichen.
Konventionell betrachtet sind Magnetismus und Supraleitung konkurrierende Phänomene, die nicht zusammen in einem Material auftreten können. Die Kombination der beiden Zustände wäre jedoch prinzipiell eine vielversprechende Möglichkeit, um die wegen ihrer hohen Wärmeentwicklung und entsprechendem Energieverbrauch unter Druck geratene Halbleitertechnologie beim Bau von Supercomputern abzulösen. Forscher der Uni Konstanz haben nun direkt nachgewiesen, dass die elektrische Übertragung magnetischer Information ohne die Erzeugung von Abwärme möglich sein könnte. Dadurch wäre es wiederum möglich, die Dichte der elektronischen Bauelemente zur Informationsverarbeitung auf dem Chip weiter zu erhöhen und gleichzeitig den Energieverbrauch von Rechenzentren stark zu verringern.
Die Wissenschaftler nutzen einen Ansatz, der darin besteht, supraleitende Elemente zu verwenden, bei denen elektrische Ladungen ohne Wärmeerzeugung fließen können. Zur Informationsspeicherung werden hingegen vorwiegend magnetische Materialien genutzt. Magnetische Information kann im Prinzip auch verlustfrei übertragen werden, indem man die magnetischen Eigenschaften der Elektronen, den Elektronenspin, ausnutzt. Durch die Kombination dieser beiden Eigenschaften – also der Supraleitung mit der Spintronik – erhofft man sich grundsätzlich neue Funktionalitäten für eine zukünftige energieeffiziente Informationstechnik. Das grundlegende Problem dieses Ansatzes besteht darin, dass in konventionellen Supraleitern der supraleitende Zustand durch Elektronenpaare getragen wird, deren magnetische Momente entgegengesetzt orientiert und die somit insgesamt unmagnetisch sind und deshalb keine magnetische Information übertragen können. Der magnetische Zustand ist hingegen dadurch gekennzeichnet, dass die magnetischen Momente gleich ausgerichtet sind, was den supraleitenden Ladungstransport unterdrückt.
„Dass Supraleitung, die ohne Wärmeentwicklung funktioniert, und Spintronik, die magnetische Informationen überträgt, nicht miteinander vereinbar sind, widerspricht nicht grundlegenden physikalischen Prinzipien, sondern nur naiven Annahmen zur Natur der Materie“, sagt Elke Scheer von der Uni Konstanz. Vor kurzem wurden Hinweise darauf gefunden, dass in Kombinationen von Supraleitern mit bestimmten magnetischen Materialien Elektronen mit gleichem Spin im Supraleiter aneinandergebunden werden und damit Supraströme über große Distanzen transportiert werden können. Dies könnte völlig neuartige, revolutionäre elektronische Bauelemente ermöglichen.
Unter der Leitung von Scheer und in Zusammenarbeit mit Wolfgang Belzig wurde ein Experiment realisiert, das den Erzeugungsmechanismus dieser Elektronenpaare mit paralleler Spinausrichtung aufklärt. Die Forscher konnten zeigen, dass es möglich ist, solche parallel orientierten Elektronenpaare zu erzeugen und nachzuweisen. „Es gilt, Materialien zu finden, die solche parallel orientierten Elektronenpaare möglich machen. Insofern ist dies auch eine materialwissenschaftliche Fragestellung“, so Scheer. Fachkollegen des Karlsruher Instituts für Technologie gelang es, maßgeschneiderte Aluminium-Europiumsulfid-Proben herzustellen. Bei Aluminium handelt es sich um einen sehr gut verstandenen Supraleiter, was eine wichtige Voraussetzung für einen quantitativen Vergleich mit der Theorie darstellt. Europiumsulfid ist ein magnetischer Isolator, ebenfalls eine bedeutende Eigenschaft zur Umsetzung des theoretischen Konzepts, und zudem behält es auch in nur wenigen Nanometer dünnen Schichten, wie sie hier verwendet werden, seine magnetischen Eigenschaften bei. Mit einem Rastertunnelmikroskop wurden räumlich und energetisch hochauflösende Messungen des Ladungstransports der Aluminium-Europiumsulfid-Proben bei tiefen Temperaturen durchgeführt. Das Rastertunnelmikroskop der Arbeitsgruppe Scheer wurde im Gegensatz zu kommerziellen Systemen darauf optimiert, vor allem höchste Energieauflösung zu liefern und dabei in veränderlichen äußerem Magnetfeldern einsatzfähig zu sein.
Die Spannungsabhängigkeit des Ladungstransports der Proben liefert die Energieverteilung der supraleitenden magnetischen Elektronenpaare und lässt damit präzise Aussagen über die genaue Zusammensetzung des supraleitenden Zustands zu. Dazu wurde eine maßgeschneiderte Theorie für die Grenzfläche zwischen Aluminium und Europiumsulfid angewendet, die kurz zuvor neu entwickelt worden war und die es auch erlaubt, in Zukunft noch komlexere Probenzusammensetzungen zu beschreiben. Die durch die Theorie vorhergesagten Energiespektren sind im Einklang mit dem Experiment und bilden damit einen direkten Nachweis der magnetischen Elektronenpaare. Darüber hinaus konnten die Forscher bislang bestehende Widersprüche hinsichtlich der Interpretation solcher Spektren geklärt werden. Mit diesen Ergebnissen hoffen die Wissenschaftler, das große Potenzial supraleitender Spintronik als potenzielle Nachfolgetechnologie für die Halbleitertechnik aufzuzeigen.
U. Konstanz / RK