Supraleiter aus dem Computer
Eisentetraborid ist nicht nur supraleitend, sondern auch ultrahart und besitzt eine ungewöhnliche Kristallstruktur.
Ein internationales Team mit Wissenschaftlern aus Deutschland, Belgien, Frankreich, Italien und den USA hat auf der Basis theoretischer Berechnungen einen völlig neuen Supraleiter entwickelt. Der extrem harte Eisenborid hat eine in der Natur unbekannte Kristallstruktur und zeichnet sich durch ein Eigenschaftsprofil aus, das für eisenhaltige Supraleiter ungewöhnlich ist. Dies ist insofern bedeutend für die Supraleiterforschung, als das neue Material aus Berechnungen am Computer und nicht aus Experimenten nach dem Versuch-und-Irrtum-Verfahren hervorgegangen ist.
Abb.: Natalia Dubrovinskaia untersucht am ESRF in Grenoble die Struktur des Eisentetraborids. Dabei wurde insbesondere die Kompressibilität dieses neuen Materials in einer Diamantstempelzelle gemessen. (Bild: ESRF / B. Faust)
Die physikalischen Grundlagen von Supraleitern sind wegen ihrer Komplexität bisher nur ansatzweise geklärt. Daher ist es äußerst schwierig, allein aufgrund theoretischer Berechnungen vorherzusagen, wie ein Material aufgebaut sein muss, damit es supraleitende Eigenschaften hat. Völlig neue Supraleiter wurden daher in der Vergangenheit nur auf experimentellem Weg, häufig auch durch Zufall entdeckt.
Dem internationalen Forschungsteam unter der Leitung von Natalia und Leonid Dubrovinsky an der Universität Bayreuth ist es jetzt aber mithilfe leistungsstarker Hochdrucktechnologien erstmals gelungen, ein Material, dem in der Theorie supraleitende Eigenschaften zugeschrieben worden sind, zu synthetisieren und als Supraleiter zu identifizieren. Es handelt sich dabei um Eisentetraborid. Dieses Material, das in der Natur nicht vorkommt und nur im Laboratorium unter hohen Drücken entsteht, hat vor kurzem Aleksey Kolmogorov von der New York State University als einen potenzieller Supraleiter theoretisch beschrieben.
Forschungsarbeiten am Laboratorium für Kristallographie und am Bayerischen Geoinstitut (BGI) der Universität Bayreuth haben diese Prognose jetzt bestätigt. Hier ist es gelungen, FeB4 bei Drücken von 8 Gigapascal und bei Temperaturen von rund 1500 Grad Celsius zu synthetisieren. Messungen der physikalischen Eigenschaften führten anschließend zu dem Ergebnis, dass es sich tatsächlich um einen Supraleiter handelt.
An der Europäischen Synchrotronstrahlungsquelle ESRF in Grenoble stellten die Forscher röntgenkristallographische Untersuchungen an. Hier stellte sich heraus, dass Eisentetraborid tatsächlich die am Computer vorhergesagte Struktur besitzt. Unerwartet war für die Bayreuther Forscher die extreme Härte des Materials mit einer Nanoindentation von 65 Gigapascal. Eisentetraborid ist damit härter als alle bisher bekannten Metallboride. Es ist fast so hart wie Diamant und gehört zur Klasse der superharten Materialien.
„Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass es grundsätzlich möglich ist, supraleitende Materialien allein durch theoretische Berechnungen am Computer von Grund auf zu entwerfen“, erklärt Dubrovinskaia, Heisenberg-Professorin für Materialphysik und Technologie bei extremen Bedingungen an der Universität Bayreuth. „Mit geeigneten Hochdruck-Verfahren lassen sich diese Ergebnisse empirisch überprüfen. Wir bewegen uns also auf einem spannenden, innovativen Forschungsgebiet. Ausgehend von der Entwicklung extrem harter Supraleiter lassen sich möglicherweise in Zukunft neue supraleitende nano- und mikroelektromechanische Systeme konzipieren.“
Die Synthese des Eisentetraborids, das exakt die vorhergesagte Kristallstruktur aufweist, ist insbesondere ein Forschungserfolg für Huiyang Gou, der sich als Humboldt-Stipendiat an der Universität Bayreuth dieser Herausforderung gewidmet hat. An der folgenden Aufklärung der supraleitfähigen und magnetischen Eigenschaften von FeB4 haben Experten in mehreren europäischen Laboratorien mitgewirkt. Die Forschungsarbeiten zum neuen Supraleiter stehen im engen Zusammenhang mit dem von Dubrovinskaia geleiteten Projekt „In incude Synthese und Untersuchung innovativer multifunktionaler fester Materialien – Boride von Übergangsmetallen (ÜM=Fe, Cr, Mn, Mo, W, Ti)“. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert dabei mit mehr als 250.000 Euro die Anschaffung einer Hochdruckpresse, die demnächst im Laboratorium für Kristallographie installiert wird. Diese Presse ermöglicht die Synthese weiterer komplexer Materialien, die bisher nur in der Theorie existieren, und können so auch einen wesentlichen Beitrag zur künftigen Supraleiterforschung leisten.
U. Bayreuth / DE