15.11.2022

Synthetische schwarze Löcher strahlen wie im Universum

Spezielle Materialsysteme eignen sich als Modell zur Untersuchung schwarzer Löcher.

Schwarze Löcher vereinen so viel Masse auf so wenig Raum, dass sich nichts ihrer Anziehungs­kraft entziehen kann. Das Verständnis schwarzer Löcher ist der Schlüssel zur Enträtselung der grund­legendsten Gesetze, die den gesamten Kosmos bestimmen, weil sie ein Zusammenspiel von zwei der am besten untersuchten Theorien der Physik darstellen: Der allgemeinen Relativitäts­theorie und der Quantentheorie, die die Physik der kleinsten Größen­einheiten beschreibt. Um schwarze Löcher vollständig zu beschreiben, müssten diese beiden Theorien zu einer Theorie der Quanten­gravitation zusammengefügt werden.

Abb.: Computer­simulation von der ausgehenden Strahlung durch das...
Abb.: Computer­simulation von der ausgehenden Strahlung durch das Gravitations­feld eines schwarzen Lochs. (Bild: ESA)

Der Ereignis­horizont ist eine nicht überwindbare Zone, die jedes schwarze Loch umgibt und aus der es kein Entrinnen gibt. Der britische Physiker Stephen Hawking entdeckte jedoch 1974, dass jedes schwarze Loch aufgrund kleiner Quanten­fluktuationen um seinen Horizont herum eine geringe Wärmestrahlung aussenden muss. Diese Strahlung ist bisher jedoch nie direkt nachgewiesen worden. Die Menge der Hawking-Strahlung, die von jedem schwarzen Loch ausgeht, ist so gering, dass sie mit der heutigen Techno­logie nicht von der Strahlung aller anderen kosmischen Objekte unterschieden werden kann. 

Alternativ könnte der Mechanismus, der der Entstehung der Hawking-Strahlung zugrunde liegt, direkt hier auf der Erde untersucht weden. Das haben sich Forschende des IFW Dresden und der Universität Amsterdam zur Aufgabe gemacht. Die Antwort auf die Frage, ob das grundsätzlich gelingen kann: „Ja, das funk­tioniert tatsächlich. Wir wollten die wirkungs­vollen Werkzeuge der Physik der konden­sierten Materie nutzen, um die unerreich­bare Physik dieser unglaublichen Objekte zu ergründen: schwarze Löcher", sagt Lotte Mertens.

Dazu untersuchte sie ein Modell, das auf einer eindimen­sionalen Kette von Atomen basiert, in der Elektronen von einem Atomplatz zum nächsten hüpfen können. Die durch das schwarze Loch verursachte Verformung der Raumzeit wird nachgeahmt, indem eingestellt wird, wie leicht die Elektronen zwischen den einzelnen Stellen springen sollen. Mit der richtigen Einstellung der Sprung­wahrscheinlichkeit entlang der Kette verhält sich ein Elektron, das sich von einem Ende der Kette zum anderen bewegt, genau wie ein Stück Materie, das sich dem Horizont eines schwarzen Lochs nähert. Und analog zur Hawking-Strahlung zeigt das Modellsystem Ausschläge, die sich genau so verhalten, als ob sie eine Temperatur hätten.

Trotz des Fehlens der tatsäch­lichen Schwerkraft im Modell­system gibt die Untersuchung dieses synthe­tischen Horizonts wichtige Aufschlüsse über die Physik der originalen schwarzen Löcher. „Hawking-Strahlung tritt nur dann auf, wenn das Modellsystem zu Beginn keine räumliche Variation der Sprungwahr­scheinlichkeiten aufweist und eine homogene Raumzeit imitiert, bevor es in ein System mit einem synthetischen Schwarzen Loch umgewandelt wird“, erklärt Mertens. „Das Auftreten von Hawking-Strahlung erfordert also eine Veränderung der Raumzeit­krümmung.“

Die vorhergesagte Hawking-Strahlung setzt voraus, dass ein Teil der Kette jenseits des synthetischen Horizonts existiert. Dies bedeutet, dass die Existenz der Wärme­strahlung eng mit der quanten­mechanischen Eigenschaft der Verschränkung zwischen Objekten auf beiden Seiten des Horizonts verbunden ist. Die Forschenden fanden außerdem heraus, dass eine Hawking-Temperatur nur dann auftritt, wenn man eine ganz bestimmte räumliche Variation des Hüpfens einstellt. Dies könnte sogar Auswirkungen auf die allgemeine Relativitäts­theorie haben: Wenn die Analogie gilt, gibt es demnach nur in bestimmten Gravitations­situationen ein thermisches Spektrum.

„Da unser Modell so einfach ist, kann es in einer Reihe von Versuchs­aufbauten eingesetzt werden“, sagt Mertens. Die Methodik zeigt, dass spezifische, schwer fassbare Phänomene des Universums durch genau konstruierte Material­systeme beobachtet werden können. Die Erforschung schwarzer Löcher mit Hilfe moderner Material­forschung im Labor bringt uns dem Verständnis des Zusammenspiels von Gravitation und Quanten­mechanik einen Schritt näher.

IFW Dresden / JOL

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