30.04.2024

Topologisches Pumpen

Überraschende Quanteneffekte in einem künstlichen Festkörper aus kalten Atomen.

Forschende der ETH Zürich haben topo­logisches Pumpen in einem künst­lichen Festkörper aus kalten Atomen untersucht. Die Atome wurden mit Laser­strahlen gefangen. Überraschender­weise kam es zu einer plötzlichen Umkehr der Atome an einer Wand aus Laserlicht – die Richtung des topologischen Pumpens hatte sich also umgedreht. Bei einer abstoßenden Wechsel­wirkung zwischen den Atomen passierte dies sogar schon vor Erreichen der Wand. Solche Effekte, die durch die Topologie robust gegenüber Störungen sind, könnten in Zukunft in Quanten­technologien genutzt werden.

Abb.: Illustration der experimentellen Resultate des topologischen Pumpens an...
Abb.: Illustration der experimentellen Resultate des topologischen Pumpens an künstlichen Festkörpern.
Quelle: Quantum Optics G., ETHZ

In der Topologie allerdings, einem Teilgebiet der Mathematik, gelten Äpfel und Birnen als topo­logisch gleich, weil beide kein Loch haben – im Gegensatz etwa zu Teigkringeln und Kaffeetassen, die beide eines aufweisen und damit ebenfalls topologisch gleich sind. Auf abstraktere Art können in der Physik auch Quantensysteme eine bestimmte Topologie haben, die sich in den Energie­zuständen und der Bewegung von Teilchen äußert. Forschende sind an solchen Systemen sehr interessiert, da ihre Topologie sie robust gegenüber Unordnung und anderen störenden Einflüssen macht, die in natürlichen physikalischen Systemen immer vorhanden sind.

Besonders interessant wird es, wenn die Teilchen in einem solchen System auch noch miteinander wechselwirken, sich also anziehen oder abstoßen, wie etwa Elektronen in Festkörpern. Topologie und Wechsel­wirkungen in Festkörpern gemeinsam zu untersuchen, ist allerdings äußerst schwierig. Forschenden unter der Leitung von Tilman Esslinger ist es nun gelungen, topologische Effekte in einer Art künstlichem Festkörper nachzuweisen, in dem man die Wechsel­wirkungen mithilfe von Magnet­feldern an- und ausschalten kann. Ihre Ergebnisse könnten künftig in Quanten­technologien angewandt werden.

Den künstlichen Festkörper konstruierten Zijie Zhu, Doktorand in Esslingers Labor, und seine Kolleginnen und Kollegen aus extrem kalten Kaliumatomen, die mithilfe von Laserstrahlen in räumlich periodischen Gittern eingefangen wurden. Weitere Laserstrahlen sorgten dafür, dass die Tiefe benachbarter Gitter­plätze im Gegenrhythmus zyklisch kleiner und größer wurde. Nach einer bestimmten Zeit massen die Forschenden die Positionen der Atome im Gitter, zunächst ohne Wechsel­wirkung zwischen den Atomen. Dabei beobachteten sie, dass aufgrund der Teigkringel-Topologie der Energie­zustände im periodischen Potenzial die Teilchen bei jeder Wiederholung des Zyklus um einen Gitterplatz in die gleiche Richtung weiter­befördert wurden.

„Das kann man sich so wie bei einer Schraube vorstellen“, sagt Postdoc Konrad Viebahn. Die Schraube dreht sich im Uhrzeigersinn um ihre eigene Achse, bewegt sich dabei aber vorwärts. Bei jeder Umdrehung legt die Schraube dabei eine festgelegte Distanz zurück – unabhängig davon, wie schnell man schraubt. Dieses Verhalten, auch topologisches Pumpen genannt, ist typisch für bestimmte topologische Systeme. Was aber, wenn die Schraube auf ein Hindernis stößt? Im Experiment war dieses Hindernis ein zusätzlicher Laserstrahl, der die Bewegungs­freiheit der Atome in Längsrichtung einschränkte. Nach rund hundert Umdrehungen der Schraube prallten die Atome sozusagen gegen eine Wand. Diese Wand stellt, um im Bild zu bleiben, eine Apfel­topologie dar, in der das topologische Pumpen nicht mehr funktioniert.

Überraschender­weise blieben die Atome aber nicht einfach an der Wand stehen, sondern kehrten plötzlich um. Die Schraube bewegte sich also nun rückwärts, obwohl sie weiterhin im Uhrzeigersinn gedreht wurde. Esslinger und seine Mitarbeitenden erklären diese Umkehr dadurch, dass es im Gitter zwei Teigkringel-Topo­logien gibt – eine mit einem im Uhrzeigersinn drehenden Teigkringel und einen mit der entgegen­gesetzten Drehrichtung. An der Wand können die Atome von der einen in die andere Topologie wechseln und so ihre Bewegungs­richtung umdrehen.

Nun schalteten die Forschenden eine abstoßende Wechsel­wirkung zwischen den Atomen ein und beobachteten, was passierte. Auch hier erlebten sie eine Überraschung: Die Atome kehrten an einer unsichtbaren Barriere um, noch bevor sie die Laserwand erreicht hatten. „Durch Modell­rechnungen konnten wir zeigen, dass diese unsichtbare Barriere von den Atomen selbst durch die Abstoßung untereinander erzeugt wurde“, erklärt Doktorandin Anne-Sophie Walter.

„Mit diesen Beobachtungen sind wir auf dem Weg zu einem besseren Verständnis wechsel­wirkender topologischer Systeme einen großen Schritt weiter­gekommen“, sagt Esslinger. Demnächst will er in weiteren Experimenten untersuchen, ob die topologische Schraube tatsächlich so robust gegenüber Unordnung ist wie vermutet und wie sich die Atome in zwei oder drei Raum­dimensionen verhalten. Auch konkrete Anwendungen hat Esslinger bereits im Blick. So könnte der Transport von Atomen oder Ionen durch topo­logisches Pumpen als Qubit-Autobahn genutzt werden, um Qubits in Quanten­computern an die richtige Stelle zu bringen, ohne sie dabei aufzuheizen oder ihre Quanten­zustände zu stören.

ETHZ / JOL

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