02.11.2016

Turbulentes Quantengas

Kaskade von Schallwellen über einen großen Wellenlängenbereich beobachtet.

Die Turbulenz von Flüssigkeiten wirft trotz intensiver Erforschung noch immer viele Fragen auf. Jetzt konnten Forscher erstmals turbulentes Verhalten in einem ultrakalten Gas beobachten, das aus nur hundert­tausend Atomen bestand und vergleichsweise einfach zu beschreiben war.

Abb.: Die Simulationen zeigen, dass das getriebene Kondensat immer kompliziertere Bewegungen ausführt und schließlich turbulent wird. Die roten Linien weisen auf Wirbel­bewegungen hin. (Bild: N. Navon et al.)

Forscher um Nir Navon und Zoran Hadzibabic vom Cavendish Laboratory in Cambridge haben ein Bose-Einstein-Kondensat aus Rubidium-87-Atomen in einen turbulenten Zustand getrieben, der sich durch eine charakteristische Anregungs­kaskade verriet. Die Atome befanden sich in einer optischen Falle, die die Form eines zylindrischen Kastens von 27 Mikrometern Länge und 32 Mikrometern Durchmesser hatte.

Mit einem zeitlich periodischen Magnetfeld­gradienten wurde eine treibende Kraft auf die Atome ausgeübt, die sie in Längs­richtung des Zylinders schwingen ließ. Zunächst führten die Atome eine kollektive „schwappende“ Bewegung aus. Doch wenn die treibende Kraft hinreichend stark war und lange genug wirkte, musste die Bewegung der Atome immer komplizierter werden, wie numerische Simulationen zeigten.

Diese Simulationen beruhten auf der Gross-Pitaevskii-Gleichung, die die zeitliche und räumliche Entwicklung der supra­fluiden Kondensat­wellen­funktion beschreibt. Im Gegensatz zu klassischen Flüssigkeiten bewegen sich Supra­flüssigkeiten wie Helium-4 reibungsfrei und wirbellos. Dies beeinflusst natürlich die Turbulenz, die bei starkem Antrieb in einer Supra­flüssigkeit auftritt.

Abb.: Deutlicher Hinweis auf Turbulenz: Die akustischen Anregungen des Kondensats bilden eine Kaskade, bei der die Verteilung der Anregungen n(k) einem Potenzgesetz folgt. Oberes Inset: Resultate von Simulationen. (Bild: N. Navon et al.)

Verglichen mit suprafluidem Helium ist in einem atomaren Bose-Einstein-Kondensat die Wechselwirkung zwischen den Atomen normalerweise sehr schwach, sodass weiter reichende theoretische Vorhersagen möglich werden. So zeigten die Simulationen der Cavendish-Forscher, dass im getriebenen Kondensat immer mehr Schall­schwingungen mit kürzeren Wellenlänge oder größerer Wellen­zahl auftraten. Es bildete sich eine Kaskade, in der sich langwellige Anregungen in immer kurz­welligere umwandelten. Dabei nahm die Zahl der Anregungen n(k) in abhängig von der Wellenzahl k mit einer Potenz von k ab: n(k) ~ k–γ, mit γ=3,5.

Solch eine Anregungskaskade ist charakteristisch für klassische turbulente Flüssigkeiten, bei denen man allerdings einen anderen Wert für den Exponenten γ beobachtet. Den Cavendish-Forschern ist nun der experimentelle Nachweis gelungen, dass sich in einem getriebenen atomaren Bose-Einstein-Kondensat ebenfalls eine Turbulenz­kaskade bildet, deren charakteristischer Exponent gut mit dem Wert übereinstimmt, den die Simulationen ergeben hatten.

Dazu trieben die Forscher das Kondensat mit einer Kraft von bestimmter Frequenz und Dauer an. Anschließend schalteten sie die Kraft und die optische Falle ab, sodass die Atom­wolke auseinander flog. Nach einer Flugzeit von etwa 100 Millisekunden nahmen sie ein Absorptions­bild der Wolke auf, aus dem sie Rück­schlüsse auf die Impuls­verteilung der Atome und die k-abhängigen Anregungen in der Atomwolke gewinnen konnten.

Während die nicht oder nur schwach getriebene Wolke anisotrop erschien, da ihr noch die Form der optischen Falle aufgeprägt war, hatte die stark getriebene Wolke eine isotrope Form, da durch die Turbulenz die Atome in alle Raum­richtungen mit gleicher Wahrscheinlichkeit flogen. Die k-abhängige Dichte der akustischen Anregungen in der Wolke zeigt eine Kaskade, die sich über einen großen Wellen­zahl­bereich erstreckte. Für den Exponenten ergab sich γ=3,5, in hervor­ragender Über­einstimmung mit dem Resultat der Simulationen. Theoretische Berechnungen lieferten indes den Wert 3,0. Der Unterschied könnte darauf beruhen, dass diese Berechnungen nur wellen­förmige, nicht aber wirbel­förmige Anregungen berücksichtigten.

Darüber hinaus konnten die Forscher beobachten, wie sich die Turbulenz­kaskade innerhalb von etwa einer Sekunde ausbildete. Die Zahl der Atome, aus der die Kaskade bestand, betrug etwa 40.000 und blieb über mehrere Sekunden konstant. Am „unteren“ Ende der Kaskade, also bei großen k-Werten, ging die Energie der akustischen Anregungen schließlich auf einzelne Atome über, die daraufhin aus der Falle entwichen. Diese Verluste wurden durch andere Kondensat­atome wettgemacht, die sich der Kaskade einreihten.

Das neue Experiment liefert einzigartige Einblicke in das turbulente Verhalten von schwach wechsel­wirkenden Quanten­flüssigkeiten. Dabei werden bisher unbekannte Zusammenhänge zwischen Turbulenz und Quanten­physik sichtbar.

Rainer Scharf

DE

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