Turbulenzen sorgen für Wachstum
Magnetfelder können auch in „toten Zonen“ Turbulenzen hervorrufen.
Unser Sonnensystem etwa bildete sich vor 4,6 Milliarden Jahren durch den Einsturz einer gigantischen Gaswolke. Von der Schwerkraft der Wolke wurden die Teilchen in das Zentrum gezogen und so entstand schließlich eine große Scheibe. „Solche Akkretionsscheiben sind aus hydrodynamischer Sicht extrem stabil, weil der Drehimpuls gemäß der Keplerschen Bahngesetze nach außen hin anwächst. Man spricht hier von der Kepler-Rotation“, erklärt Frank Stefani vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR). „Um die hohen Wachstumsraten von Sternen und Schwarzen Löchern zu erklären, muss es einen Mechanismus geben, der die rotierende Scheibe destabilisiert und damit gleichzeitig dafür sorgt, dass Masse nach innen und der Drehimpuls nach außen transportiert wird“, führt er aus.
Abb.: Künstlerische Darstellung einer protoplanetaren Scheibe. (Bild: P. Rawlings / NASA)
Magnetische Felder können, wie bereits 1959 von Evgenij Velikhov theoretisch vorhergesagt, in einer stabilen Strömung Turbulenz entfachen. Die fundamentale Bedeutung dieser sogenannten Magneto-Rotationsinstabilität (MRI) für die kosmische Strukturbildung wurde durch die Astrophysiker Steven Balbus und John Hawley aber erst 1991 erkannt, wofür sie im September 2013 den mit einer Million Dollar dotierten „Shaw Prize“ für Astronomie erhalten.
Damit die MRI funktioniert, müssen die Scheiben aber eine minimale elektrische Leitfähigkeit aufweisen. In Gebieten geringer Leitfähigkeit, wie z.B. in den „toten Zonen“ protoplanetarer Scheiben oder in den weit außen liegenden Gebieten der Akkretionsscheiben um supermassereiche Schwarze Löcher, ist die Wirkung der MRI numerisch nur schwer nachzuvollziehen und deshalb auch umstritten. Ein neuer theoretischer Erklärungsansatz kommt jetzt von Wissenschaftlern des HDZR, die sich bis dato vor allem mit der experimentellen Untersuchung der MRI beschäftigt hatten.
Wenn man versucht, die MRI in einem Flüssigmetall-Experiment mit einem ausschließlich in vertikaler Richtung angelegten Magnetfeld – so die reine astrophysikalische Lehre – nachzustellen, dann muss dieses Magnetfeld sehr stark sein. Da gleichzeitig auch die Rotationsgeschwindigkeit sehr hoch sein muss, sind derartige Experimente extrem aufwendig und bisher noch nicht von Erfolg gekrönt gewesen.
Mit einem Trick war es Stefani zusammen mit seinen Kollegen vom HZDR sowie vom Leibniz-Institut für Astrophysik in Potsdam im Jahr 2005 erstmals gelungen, den Himmelsprozess im Labor nachzustellen. Indem sie das senkrechte durch ein kreisförmiges Magnetfeld ergänzten, konnten sie die MRI schon bei wesentlich geringeren Magnetfeldstärken und Rotationsgeschwindigkeiten beobachten. Ein Schönheitsfehler dieser „helikalen MRI“ ist die Tatsache, dass sie nur relativ steil nach außen abfallende Rotationsprofile zu destabilisieren vermag, zu denen die Kepler-Rotation zunächst einmal nicht gehört.
Diesem gewichtigen Argument aus der Astrophysik setzen die HZDR-Wissenschaftler nun ihre neuesten Erkenntnisse entgegen. Die Berechnungen von Oleg Kirillov und Frank Stefani zeigen, dass die helikale MRI sehr wohl für Keplersche Rotationsprofile anwendbar ist, wenn nur das kreisförmige Magnetfeld nicht komplett von außen, sondern wenigstens zu einem kleinen Teil auch in der Akkretionsscheibe selbst erzeugt wird.
„Dies ist in der Tat ein viel realistischeres Szenario. Im Extremfall, dass gar kein vertikales Feld vorhanden ist, haben wir es mit einer Henne-Ei-Problematik zu tun. Ein kreisförmiges Magnetfeld destabilisiert die Scheibe und die entstehende Turbulenz generiert Komponenten von vertikalen Magnetfeldern. Die wiederum reproduzieren durch die besondere Form der Rotationsbewegung der Scheibe das kreisförmige Magnetfeld.“ Ob mit oder ohne vertikales Magnetfeld: Die aktuellen Berechnungen zeigen, dass die MRI durchaus auch in Gebieten geringer Leitfähigkeit wie etwa in den „toten Zonen“ möglich sein kann, in denen Astrophysiker sie bisher nicht vermutet hatten.
Motiviert wurden die Wissenschaftler durch ihre langjährige Erfahrung mit Laborexperimenten zu kosmischen Magnetfeldern, angefangen bei einem Modell des Erddynamos über die Magneto-Rotationsinstabilität bis hin zur Tayler-Instabilität. Letztere wird von Astrophysikern unter anderem in Bezug auf kosmische Jets und die Entstehung von Neutronensternen diskutiert, muss aber etwa auch bei der Konstruktion großer Flüssigmetall-Batterien beachtet werden.
Derzeit planen die Wissenschaftler ein großes Experiment mit flüssigem Natrium, das sie im Rahmen des DRESDYN-Projektes in den nächsten Jahren realisieren wollen. „Wenn wir dieses Experiment, das erstmalig die MRI mit der Tayler-Instabilität kombiniert, zum Laufen bringen, können wir das Zusammenwirken von unterschiedlichen magnetischen Phänomenen im Kosmos noch viel besser verstehen“, so Stefani.
HZDR / PH