Überraschend langsame Bewegungen unter der Sonnenoberfläche
Messung seismischer Schwingungen stellen bisheriges Verständnis der Dynamik des Sonneninneren infrage.
Die inneren Bewegungen der Sonne sind viel langsamer als vorhergesagt. Anstatt mit der Geschwindigkeit eines Düsenflugzeugs, wie bisher geglaubt, strömt das Plasma dort im Schritttempo. Um ins Innere der Sonne zu blicken, nutzen die Wissenschaftler Beobachtungen solarer Oszillationen, die das Solar Dynamics Observatory der NASA anstellte.
Abb.: Konvektionsmuster an der Sonnenoberfläche, gemessen mit dem Helioseismic and Magnetic Imager (HMI) an Bord von SDO (Klinker links unten; Bild: MPS / NASA)
In ihrem äußeren Drittel gleicht die Sonne einem Topf mit kochendem Wasser: Getrieben von der gewaltigen Hitze im Innern des Sterns steigt heißes Plasma auf, kühlt weiter oben ab und sinkt dann wieder hinunter. Dieser Vorgang, den Wissenschaftler als Konvektion bezeichnen, transportiert Energie nach außen und bestimmt Struktur und Entwicklung der Sonne.
Den Forschern um Shravan Hanasoge vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung MPS ist es nun erstmals gelungen, mithilfe der Helioseismologie die Vorgänge in der Konvektionsschicht aus direkten Beobachtungen der Sonnenoberfläche abzuleiten. „Wir beobachten Oszillationen der Sonnenoberfläche und nutzen diese, um auf Eigenschaften wie etwa Ströme im Sonneninneren zu schließen”, erklärt Laurent Gizon, Leiter der Abteilung Physik des Inneren der Sonne und sonnenähnlicher Sterne am MPS.
Das Team, zu dem auch amerikanische Forscher der Princeton University, des NASA Goddard Flight Center und der New York University gehören, war in der Lage, die Strömungsgeschwindigkeiten des Plasmas in einer Tiefe von 55.000 Kilometern zu bestimmen. Diese Tiefe entspricht acht Prozent des Sonnenradius. Überraschenderweise stellte sich heraus, dass die Strömungsgeschwindigkeiten kleiner als einige Meter pro Sekunde sind. Das ist hundert Mal weniger als numerische Modelle solarer Konvektion vorhersagen.
Schlüssel zu den neuen Ergebnissen waren Daten des Weltraumteleskops SDO, das die Sonnenoberfläche seit Anfang 2010 vom All aus beobachtet. Die Wissenschaftler werteten Messungen des Helioseismic and Magnetic Imager (HMI) aus. Nur die einzigartige Kombination aus hoher Auflösung und voller räumlicher Abdeckung, die das Sonnenobservatorium bietet, hat diese Analyse ermöglicht. Die riesigen Datenmengen – täglich tausende hochaufgelöste Aufnahmen der gesamten Sonne –, die HMI sammelt, werden am MPS im German Data Center for SDO archiviert und aufbereitet, einer in Europa einmaligen Einrichtung.
Das HMI-Instrument misst die Strömungsgeschwindigkeit der Sonnenoberfläche. Erreicht eine solare akustische Welle, die im Innern der Sonne gefangen ist, die Oberfläche, so bewegt sie diese – und kann somit von HMI erfasst werden. Auf diese Weise konnten die Forscher die Zeit messen, die eine solare akustische Welle braucht, um sich von einem Punkt an der Sonnenoberfläche durch das Innere zu einem anderen Punkt an der Oberfläche auszubreiten. Dabei beeinflussen die Konvektionsströme tief im Innern die Ausbreitungsgeschwindigkeit. So ist es möglich, aus der Messung dieser Ausbreitungsgeschwindigkeiten auf die Geschwindigkeit der Konvektionsströme zu schließen.
„Diese unerwartet niedrigen Geschwindigkeiten, die mithilfe der Helioseismologie gemessen wurden, sind das bemerkenswerteste helioseismologische Ergebnis seit dem Start von SDO”, sagt Gizon und urteilt: „Die neuen Erkenntnisse werfen nicht nur ein neues Licht auf die Sonne, sondern auch auf unsere derzeitige Unfähigkeit, einen der grundlegendsten physikalischen Prozesse in der Sonne und anderen Sternen zu verstehen: die Konvektion.”
MPG / OD