09.11.2006

Ultraschall lässt Zucker leuchten

Durch Ultraschall erzeugte akustische Kavitation verursacht Lumineszenz in kristallinen Lösungen.



Durch Ultraschall erzeugte akustische Kavitation verursacht Lumineszenz in kristallinen Lösungen.

Wenn man im Dunkeln zwei Zuckerstückchen aneinander reibt, sieht man ein schwaches bläuliches Leuchten. Schon vor 400 Jahren hatte Francis Bacon über diese Erscheinung berichtet, die heute als Mechano- oder Tribolumineszenz bekannt ist. Das geheimnisvolle Leuchten der Kristalle kann man auch mit Hilfe von Ultraschall hervorrufen, wie Nathan Eddingsaas und Ken Suslick von der University of Illinois in Urbana kürzlich beobachtet haben.

Bei ihren Experimenten verwendeten die Forscher Kristalle von herkömmlichem Zucker (der Saccharose) und von Resorcin, einem Dihydroxybenzol. Die Kristalle dieser beiden Substanzen sind piezoelektrisch: Setzt man sie unter Druck, so erzeugen sie eine elektrische Spannung. Wurden die Zuckerkristalle in Luft oder unter Stickstoff zerdrückt, so zeigten sie das charakteristische blaue Leuchten. Dafür waren verschiedene Emissionslinien der Stickstoffmoleküle verantwortlich, wie eine Spektraluntersuchung ergab. Auch die Resorcinkristalle leuchteten bläulich wenn sie zerdrückt wurden. Ihr Lumineszenzspektrum enthielt neben den Stickstofflinien auch einen breiten Untergrund, der von Lumineszenzstrahlung aus dem Kristallinneren herrührte.

Anschließend wurden die Zuckerkristalle in eine stickstoffhaltige Hexadecanlösung gegeben. Dabei entstand eine stark übersättigte Lösung, ein „Kristallschlamm“, der zahllose mikrometergroße Kristallite enthielt. Wurde dieser Zuckerschlamm sehr starkem Ultraschall ausgesetzt, so leuchtete er ebenfalls bläulich, allerdings wesentlich intensiver als die zerdrückten Zuckerkristalle: Die Stickstofflinien hatten eine zehnfach höhere Intensität. Eine übersättigte Lösung von Resorcin in Hexadecan, die mit Helium oder Argon versetzt war, leuchtete unter Ultraschall ebenfalls und zeigte intensive Helium- bzw. Argonlinien. Zur Kontrolle wiederholten die Forscher das Experiment mit kristallinem Hydrochinon, das dem Resorcin chemisch sehr ähnlich ist, aber weder Piezoelektrizität noch Mechanolumineszenz zeigt: In diesem Fall blieb der beschallte Kristallschlamm dunkel.

Für das von ihnen entdeckte Phänomen haben die Forscher folgende Erklärung. Zunächst führt der intensive Ultraschall von 20 kHz in der Lösung zur Kavitation. Es bilden sich zahllose Gasbläschen, die im Takt des Ultraschalls periodisch expandieren und wieder kollabieren. Im Forschungslabor von Ken Suslick aber auch andernorts hatte man bei früheren Versuchen beobachtet, dass dieser Kollaps so heftig sein kann, dass sich das Gas in den Blasen auf einige Tausend Grad erhitzt und zu leuchten beginnt. Diese Sonolumineszenz trat in den aktuellen Experimenten von Eddingsaas und Suslick nicht auf. Aber der Kollaps der Gasblasen verursachte Stoßwellen, die die Mikrokristalle in der Lösung auf Geschwindigkeiten von über 100 m/s beschleunigten.

Wenn zwei Mikrokristalle mit solch hoher Geschwindigkeit kollidieren, entstehen in ihnen Risse, die sich schnell verbreitern. In den piezoelektrischen Kristallen kommt es dabei zur elektrischen Ladungstrennung. An den gegenüberliegenden Oberflächen eines Risses treten entgegengesetzte Ladungen auf. Es bilden sich elektrische Felder, die so stark werden, dass es zum elektrischen Durchschlag kommt. Dabei blitzt das im Hexadecan gelöste Gas (N 2, He oder Ar) auf und der Kristallschlamm beginnt zu leuchten. Der Durchschlag kann aber auch innerhalb der normalerweise nichtleitenden Mikrokristalle stattfinden und dort zur Lumineszenz führen.

Mechanolumineszenz ist übrigens gar keine so exotische Erscheinung. Man schätzt, dass sie bei etwa 36 % aller anorganischen und 19 % aller organischen Verbindungen auftritt. Doch offenbar hält dieses Phänomen noch immer Überraschungen bereit, wie der im Ultraschall leuchtende Kristallschlamm zeigt.

Rainer Scharf

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