05.11.2020

Vertikal gelüftet schützt besser

Neues Lüftungskonzept gegen virenbelastete Aerosole ist ein Spin-Off aus der Raumfahrt und Medizintechnik.

Ein Belüftungskonzept mit Filtersystem für Klassen­zimmer, Restaurants und Kinos hat das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Göttingen getestet. Der Test fand im Auftrag der OHB System AG, der HT Group und DASTEX statt und bestätigte die Effizienz des untersuchten Lüftungs­systems im Vergleich zu einer Fenster­lüftung. Denn das Risiko, sich mit Krankheits­erregern, die primär über die Atemwege übertragen werden, anzustecken, steigt in geschlossenen Räumen mit der Menge an Aerosolen (die Quellenstärke) und der Aufenthaltszeit an. Je höher die Menge an Aerosolen ist, desto höher ist das Ansteckungs­risiko. Um dem entgegen zu wirken, muss die Anzahl der Viren örtlich und zeitlich reduziert werden. Dies kann durch Verdünnung mit Frischluft (Lüften) oder gefilterter Luft (Raumluftfilter) erfolgen. Das OHB-HT-Konzept setzt auf das Prinzip der Verdrängungs­lüftung sowie effiziente Filtrierung der potentiell belasteten Raumluft.
 

Abb.: Spezial-Dummy beim „Ausatmen“ (Bild: DLR)
Abb.: Spezial-Dummy beim „Ausatmen“ (Bild: DLR)

Bei dem untersuchten Lüftungs­konzept handelt es sich um ein Spin-Off aus der Raumfahrt und Medizin­technik, genauer gesagt einem Konzept für ein wirksames Filtersystem für Räume. Das Konzept „Next Generation Class Room“ ist ein möglichst einfach einzubauender Nach­rüstsatz für Räume, der die Virendichte (etwa Corona und Grippe) und damit das Übertragungs­risiko reduzieren soll. Erreicht wird dies durch ein vertikales Lüftungs­konzept. Dabei wird Frischluft am Boden eingebracht, an der Decke abgesaugt und nach Filterung wieder bodennah zugeführt. Zusätzlich wird die vertikale Strömung in Richtung der Absaugung durch die Auftriebs­strömung verstärkt, welche die im Raum befindlichen Menschen durch ihre Wärmeabgabe bewirken. So wird die Atemluft effektiv einem Filtersystem zugeführt, und die in der Atemluft enthaltenen viren­belasteten Aerosole können sich nicht unkontrolliert im Raum ausbreiten.

Verantwortlich für das neue Konzept ist Axel Müller von der OHB System AG im Bereich Cleanliness. Vereinfacht gesagt sorgt er dafür, dass Satellitenbauteile keine Verunreinigung (chemisch, partikular oder biologisch) aufsammeln und dass Wärmeeinflüsse bei hochpräzisen Messungen nicht stören. Mittel der Wahl ist eine optimierte Luftführung, die den störenden Einfluss von Wärme und Kontaminations­quellen auf das zu schützende Bauteil ausschließt. Genau das war für Müller die Idee, für Klassenzimmer, Arztpraxen und sonstige Räume eine Ausrüstung zu konzipieren, die die Sicherheit der sich dort aufhaltenden Personen erhöht: „Zielsetzung ist, potentiell viren­belastete Luft gezielt schnell zu filtrieren und eine unkontrollierte Durchmischung im Raum zu vermeiden“, erklärt Müller.

„Als Strömungsforscher bescheinigen wir dem Konzept ein großes Potential und halten es für besser als das Lüften per Fenster“, sagt Andreas Westhoff vom DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungs­technik in Göttingen, der die Tests durchführte. Beim Fensterlüften handelt es sich um ein horizontales Lüften – die Luft gelangt seitlich in den Raum, verwirbelt und kann mit weiteren Personen in Kontakt kommen.

Am DLR-Institut in Göttingen, das auf eine jahrzehntelange Expertise für Lüftungssysteme insbesondere in Fahrzeugen zurückgreifen kann, hat Westhoff die erste, mehrtägige Phase der von der OHB System AG beauftragten Messkampagne betreut: „Die Untersuchung des OHB-HT-Raum­lüftungs­konzepts hat gezeigt, dass mit Hilfe des getesteten Prototypen eine stabile Strömung vom Menschen direkt zur Absaugung realisiert werden kann. Die vom Menschen erzeugte Auftriebs­strömung unterstützt diesen Effekt. Eine unkontrollierte Ausbreitung von viren- und bakterien­belasteten Aerosolen aus der Atemluft wird reduziert. Außerdem wird die viren­belastete Luft effektiv der Filteranlage zugeführt.“

Die Messungen wurden mit beheizten Menschmodellen durchgeführt – schwarzen Dummies, die mit einem Heizdraht umwickelt sind und die Wärmeabgabe eines typischen sitzenden Menschen simulieren. „Diese Wärme­abgabe jedes Menschen erzeugt eine Auftriebsströmung, die die Strömung in einem Raum wesentlich beeinflusst“, so Westhoff. Zusätzlich wurde ein Dummy mit einem am DLR Göttingen entwickelten Atem­simulator ausgestattet.

In mehreren Szenarien (ein Klassenzimmer, ein Arzt-Warteraum, ein Gastro-Bereich sowie Kinobestuhlung) saßen bis zu 15 Dummies an Tischen. Zum Funktions­nachweis des Lüftungs­konzeptes wurde eine Rauch­visualisierung durchgeführt, um die Luftströmung sichtbar zu machen. Ergänzend hierzu wurde CO2 als Tracer-Gas in den Raum eingelassen, um damit die Verbreitung von Aerosolen zu simulieren. Mit Hilfe von CO2-Konzentrations­messungen kann die Ausbreitung von virenbelasteten Aerosolen untersucht werden. Mit dem „Next Generation Class Room“-Demonstrator erfolgen in den nächsten Wochen in Göttingen weitere Tests. So soll unter anderem auch die Ausbreitung menschlicher Spucke-Partikel simuliert werden. Parallel plant das Konsortium, den Praxistest in einer Schule oder einem Restaurant.

DLR / DE
 

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