03.08.2015

Viele Wege führen zum Kristall

In der Natur treten viele nicht-klassische Variante von Kristallwachstum mit speziellen Eigenschaften auf.

Kristallwachstum gibt der Wissenschaft noch immer Rätsel auf. Seit Jahrzehnten stellt sich Forschern die Frage, wie Mineralien bei Tieren und Pflanzen unregelmäßige Strukturen annehmen können, die in keinerlei Verhältnis zur ursprünglich symmetrischen Struktur des Kristalls stehen. Ein internationaler Verbund von Wissenschaftlern unter Beteiligung der Universität Konstanz konnte nun auf Nano-Ebene nachweisen, dass die Natur eine Vielzahl an Varianten des Kristallwachstums abseits der klassischen Methode „ein-Atom-nach-dem-anderen“ kennt. Die Forschungs­ergebnisse könnten weitreichende Auswirkungen für grundlegende Fragen zum Kristall­wachstum haben.

Abb.: Künstlerische Darstellung des Wachstums von Kalzium-Karbonat-Kristallen im frühen Stadium (Bild: A. F. Wallace, Univ. Delaware / D. J. Carey)

Dies spielt eine bedeutende Rolle für eine Vielzahl an Materialien und Anwendungen in allen Bereichen, vom biologischen Skelett und Muschelschalen über geologische Bodenschichten bis hin zur Halbleiter-Technologie. Über mehrere Fachrichtungen hinweg haben Wissenschaftler Phänomene des Kristall­wachstums beobachtet – zum Beispiel anhand des Skeletts von Tieren oder in Laborexperimenten –, die sich nicht durch klassische Theorien erklären lassen.

Die aktuelle Forschungsarbeit zeigt nun, dass Kristalle in komplexen und unerwarteten Strukturen aufgebaut werden können, indem Nanoteilchen – wie zum Beispiel Nanokristalle, -cluster oder -tröpfchen – angefügt werden. Der Prozess setzt bei der Ausformung dieser Teilchen ein. All diese Teilchen sind instabil und verbinden sich miteinander sowie mit nahegelegenen Kristallen und anderen Oberflächen. Diese Teilchen­verbindungen können Strukturen annehmen, die den klassischen, facettierten Strukturen von Kristallen gleichen – sie können aber auch gänzlich unerwartete Anordnungen und ungewöhnliche Strukturen bilden. Beispielsweise tendieren Nanokristalle dazu, sich in gleichmäßiger Anordnung nach dem größeren Kristall auszurichten, bevor sie sich mit ihm verbinden. Andererseits können jedoch auch unregelmäßige, amorphe Teilchen­aufschichtungen entstehen, die sich schlicht aufhäufen und sich später in ihrer Masse zu einem einheitlichen Kristall formen.

Insgesamt 15 internationale Arbeitsgruppen aus den Gebieten der Chemie und Geochemie, Physik, Biologie sowie den Geowissenschaften und Materialwissenschaften haben zusammengearbeitet, um die an diesem Prozess beteiligten Nanoteilchen zu identifizieren und die chemischen Zusammenhänge zu verstehen. Die beteiligten Wissenschaftler führten hierfür Laborexperimente und visualisierten in Computer­simulationen, wie diese Teilchen verknüpft werden können und welche Strukturen sie ausbilden können.

An der Universität Konstanz wurden in diesem Rahmen die sogenannten Mesokristalle erforscht. Diese entstehen, wenn sich Nanokristalle kontrolliert zueinander ausrichten, aber noch nicht zu einem einzigen Kristall zusammen­wachsen, sondern durch weiche Schichten voneinander getrennt bleiben. Solche Mesokristalle wurden zum Beispiel in Seeigelstacheln identifiziert, wo sie dem Stachel durch ihre „Backsteinmauer-Architektur“ Bruchfestigkeit verleihen. Dieser Aufbau konnte inzwischen erfolgreich auf Zement übertragen werden, was in bruchfestem Zement resultierte. „Es ergeben sich durch diesen Kristallisations­weg völlig neue und faszinierende Perspektiven für die Herstellung zukünftiger kristalliner Materialien“, erklärt Helmut Cölfen, Professor für physikalische Chemie an der Universität Konstanz. Cölfen arbeitet schon seit mehr als zehn Jahren an nichtklassischen Kristallisations­phänomenen.

Die aktuellen Forschungsergebnisse erklären nun ungewöhnliche Mineral­strukturen in Gesteins­schichten und geben Aufschluss darüber, wie Kristalle im Tierreich zu Muschelschalen, Zähnen und Knochen ausgeformt werden. Darüber hinaus erschließt sich ein neues Bild, wie in Gewässern Schadstoffe in Mineralien eingeschlossen sein können, wie sie transportiert sowie in Sedimenten und im Boden abgelagert werden. Dieses Wissen könnte eine wichtige Rolle in der Wasser- und Bodenaufbereitung spielen. Nicht zuletzt eröffnen die Forschungs­ergebnisse neue Ansätze für die Entwicklung von künftigen High-Tech-Materialien wie beispielsweise bruchfestem Zement.

U. Konstanz / DE

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