Wackelnde Symmetrie
Neue Messungen am CERN stellen physikalische Gesetze in Frage.
Das Standard-Modell der Teilchenphysik beschreibt das Verhalten aller Kräfte und Teilchen im Universum. Es häufen sich jedoch Anzeichen, dass das Standard-Modell Probleme haben könnte, alle Messungen zu erklären. Ein internationales Team von Teilchenphysikern der Large Hadron Collider beauty-Kollaboration, kurz LHCb, präsentierte diese Woche im Rahmen der Fachkonferenz Moriond EW und in einem Seminar am Forschungszentrum CERN in Genf erstmals zwei zentrale Messungen. Die Daten wurden am LHCb-Detektor am CERN gesammelt, die RWTH Aachen, die TU Dortmund, die Universität Zürich und die Universität Heidelberg sind an diesen Messungen maßgeblich beteiligt.
Gemäß Standardmodell verhalten sich Myon und Tau-Teilchen genauso wie das Elektron. Dieses identische Verhalten der Teilchen, die alle zur Gruppe der Leptonen gehören, wird als Lepton-Universalität bezeichnet. Am LHCb-Experiment untersucht man in einigen Messungen, ob das Verhalten tatsächlich identisch ist oder ob es leichte Abweichungen gibt. Dabei stehen sehr seltene Teilchenzerfälle von B+-Mesonen im Mittelpunkt. Gemäß der Theorie müssten sie gleich oft in die Endzustände „K+e+e-“ und „K+μ+μ-“ zerfallen. Allerdings wurde festgestellt, dass B+-Mesonen etwas häufiger in den Endzustand K+e+e- zerfallen. Das Ergebnis könnte auf eine Verletzung der Lepton-Universalität hindeuten. Noch liegt der Untersuchungswert bei einer Signifikanz von 3,1 Standardabweichungen, eine eindeutige Entdeckung erfordert eine Signifikanz von 5 Standardabweichungen.
„Die Symmetrie zwischen Elektronen und Myonen wackelt! Wenn wir die Messung mit weiteren Daten bestätigen, wäre das ein starkes Anzeichen für neue Physikphänomene jenseits des Standard-Modells“, sagt Eluned Smith vom I. Physikalischen Institut B der RWTH Aachen. Sie koordinierte gemeinsam mit Martino Borsato von der Universität Heidelberg und Johannes Albrecht von der TU Dortmund die Analyse. „Dieses Ergebnis gliedert sich in eine Reihe von Messungen ein, die gemeinsam ein konsistentes Bild ergeben. Die Daten erfordern derzeit klar Erklärungen und Modelle, die über das Standardmodell hinausgehen, wie zum Beispiel die Existenz von Leptoquarks“, ergänzt Albrecht.
„Es ist also noch zu früh für eine endgültige Schlussfolgerung. Allerdings stimmt die neue Abweichung mit dem Muster von Anomalien überein, die sich im letzten Jahrzehnt abgezeichnet haben“, sagt Nicola Serra von der Universität Zürich. „Doch die LHCb-Kollaboration verfügt über alle Voraussetzungen, um in Beauty-Quark-Zerfällen die mögliche Existenz von Effekten einer neuen Physik zu klären. Was wir dazu brauchen, sind viele weitere Messungen“, sagt Serra.
RWTH / U. Zürich / JOL
Weitere Infos
- LHCb collaboration: R. Aaij et. al.: Test of lepton universality in beauty-quark decays, arXiv.org, 2103.11769 (2021)
- LHCb collaboration, CERN, Genf