Wärmeleitung mit kohärenten Phononen
In Halbleiterübergittern wird Energie auf ungewöhnliche Weise transportiert.
Normalerweise beruht die Wärmeleitung in einem Kristall auf der ungeordneten Diffusionsbewegung von „heißen“ Teilchen wie Elektronen oder Phononen, den Quanten der Gitterschwingungen. Ist deren mittlere freie Weglänge größer als der Kristall, so durchqueren sie ihn ballistisch. Die Phononen streuen dann nur noch an Grenzflächen und Oberflächen, wobei ihre de-Broglie-Wellen unter bestimmten Bedingungen ihre Phasenkohärenz behalten. Jetzt haben Forscher am MIT erstmals den Beitrag der kohärenten Phononen zur Wärmeleitung in Halbleiterübergittern nachgewiesen.
Abb.: Elektronenmikroskopische Aufnahme eines Übergitters mit drei Perioden. (Bild: M. Luckyanova et al. / AAAS)
Gang Chen und seine Kollegen stellten unterschiedlich dicke Halbleiterübergitter her, indem sie auf einen GaAs-Wafer abwechselnd Schichten aus AlAs und GaAs aufdampften, die jeweils zwölf Nanometer dick waren. Die entstandenen Schichtfolgen hatten 1, 3, 5, 7 oder 9 räumliche Perioden. Zum Abschluss dampften sie eine Aluminiumschicht auf, die die Wärmeleitungsmessung der Übergitter ermöglichte. Beim Bestrahlen dieser Schicht mit kurzen Laserpulsen heizte sie sich auf und gab ihre Wärmeenergie an die darunterliegenden Schichten ab. Nach jedem Anregungspuls folgte mit variablem zeitlichem Abstand ein Abfragepuls, mit dem sich aufgrund des temperaturabhängigen Reflexionsvermögens der Aluminiumschicht ihre Temperatur bestimmen ließ. Aus dem Abklingen der Temperatur ergab sich die Wärmeleitfähigkeit des jeweiligen Übergitters.
Bei sehr tiefen Temperaturen nahm die spezifische Wärmeleitfähigkeit der mit flüssigem Helium gekühlten Übergitter linear mit der Zahl der Perioden und folglich mit der Probenlänge L zu. Der Wärmestrom hing demnach nur von der Temperaturdifferenz zwischen den beiden Probenenden ab, nicht aber von L. Diese ungewöhnliche Eigenschaft beruhte auf der ballistischen Bewegung der Phononen, die dabei ihre Phasenkohärenz behielten. Normalerweise ist die spezifische Wärmeleitfähigkeit eine Materialkonstante, sodass der Wärmestrom proportional zum Temperaturgradienten ist und somit bei konstanter Temperaturdifferenz wie 1/L abnimmt. Dies ist eine Folge ungeordneter, diffusiver Bewegungen der Phononen.
Abb.: Die spezifische Wärmeleitung der Übergitter wächst bei niedrigen Temperaturen linear mit der Zahl der Perioden. (Quelle: M. Luckyanova et al. / AAAS)
Wurden die Übergitter auf Zimmertemperatur erwärmt, so hing ihre spezifische Wärmeleitfähigkeit nicht mehr linear von der Periodenzahl oder von L ab, sondern sie näherte sich einem konstanten Wert an. Bei Erhöhung der Temperatur T beruhte ein zunehmender Teil der Wärmeleitung auf „normalen“ inkohärenten Phononen. Je höher T war, umso kurzwelligere Phononen wurden angeregt, die auch eine immer kürzere mittlere freie Weglänge hatten. War diese Weglänge schließlich viel kleiner als L, so kollidierten die Phononen miteinander. Sie bewegten sich nicht mehr ballistisch, sondern sie diffundierten. Doch selbst bei hohen Temperaturen erfolgte ein Großteil der Wärmeleitung in den Übergittern durch langwellige, kohärente Phononen.
Die kohärente Wärmeleitung in Übergittern eröffnet die Möglichkeit eines „Phonon Engineering“. Indem man ein Übergitter auf sehr großen Längenskalen zum Beispiel durch Versetzungen im Kristallgitter stört oder direkt ein aperiodisches Übergitter benutzt, ließe sich die Kohärenz auch der langwelligen Phononen zerstören. Dies würde zu einer deutlichen Verringerung der Wärmeleitfähigkeit führen. Die Forscher sind zuversichtlich, dass man unter Ausnutzung der kohärenten Phononen die Wärmeleitfähigkeit nanostrukturierter Materialien sowohl verringern als auch erhöhen kann.
Rainer Scharf
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