30.11.2023

Wann Babysterne flügge werden

Unerwartete Einblicke in Entstehung und Auseinanderdriften von jungen Sternen.

Eine Gruppe von Astrophysikerinnen und Astrophysikern unter der Leitung von Núria Miret-Roig von der Universität Wien fand heraus, dass zwei Methoden zur Bestimmung des Sternenalters unterschiedliche Dinge messen: Die isochrone Messung bestimmt dabei das Geburtsdatum von Sternen, während die dynamische Verfolgung Aufschluss darüber gibt, wann die Sterne „ihr Nest verlassen“, in den untersuchten Sternenhaufen etwa 5,5 Millionen Jahre später. Die Studie ermöglicht eine Bestimmung der frühesten Stadien des Lebens von Sternen.

Abb.: Bild des Wolkenkomplexes Rho Ophiuchi, der der Erde am nächsten...
Abb.: Bild des Wolkenkomplexes Rho Ophiuchi, der der Erde am nächsten liegenden Sternhaufen.
Quelle: NASA / ESA / CSA / K. Pontoppidan, STScI

Dabei zeigte sich, dass zwei der verlässlichsten Methoden zur Bestimmung des Sternenalters – die isochrone Messung und die dynamische Rückverfolgung – systematisch und beständig auseinander lagen. Konkret waren die Sterne laut der Methode der dynamischen Rückverfolgung jeweils rund 5,5 Millionen Jahre jünger als mit der isochronen Messung. „Dies deutet darauf hin, dass die beiden Mess­methoden unterschiedliche Dinge messen“, erklärt Núria Miret-Roig. Demnach beginnt die isochrone Uhr ab dem Zeitpunkt der Sternen­entstehung zu ticken, die Uhr der dynamischen Rückverfolgung jedoch erst dann, wenn ein Sternhaufen nach dem Verlassen seiner Mutterwolke zu expandieren beginnt.

„Diese Erkenntnis hat erhebliche Auswirkungen auf unser Verständnis der Sternentstehung und der stellaren Entwicklung, einschließlich der Planeten­bildung und der Entstehung von Galaxien, und eröffnet eine neue Perspektive auf die Chronologie der Stern­entstehung. So kann die Länge der eingebetteten Phase, während derer Babysterne innerhalb der elterlichen Gaswolke bleiben, abgeschätzt werden“, erklärt João Alves von der Universität Wien. „Dieser Alters­unterschied zwischen den beiden Methoden stellt ein neues und dringend benötigtes Werkzeug dar, um die frühesten Stadien im Leben eines Sterns zu quantifizieren“, so Alves. „Konkret können wir damit messen, wie lange die Baby-Sterne brauchen, bevor sie ihr Nest verlassen.“

Möglich wurden die Messungen durch die hochauflösenden Daten der Gaia-Sondermission in Verbindung mit bodengestützten Radial­geschwindigkeiten. „Diese Kombination erlaubt es uns, die Positionen der Sterne mit der Genauigkeit der 3D-Geschwindigkeiten bis zu ihrem Geburtsort zurückzuverfolgen,“ erklärt Miret-Roig. Neue und kommende spektroskopische Durch­musterungen wie WEAVE, 4MOST und SDSS-V werden diese Untersuchung für die gesamte Sonnenumgebung ermöglichen.

„Astronominnen und Astronomen verwenden isochrone Alters­angaben, seit wir wissen, wie Sterne funktionieren, aber diese Altersangaben hängen von dem jeweiligen Sternmodell ab, das wir verwenden“, sagt Miret-Roig. „Die hochwertigen Daten des Gaia-Satelliten haben es uns nun ermöglicht, das Alter dynamisch, also unabhängig von den Sternmodellen, zu messen und wir waren begeistert, die beiden Uhren zu synchronisieren.“ Während der Berechnungen trat jedoch ein beständiger und rätselhafter Unterschied zwischen den beiden Alters­bestimmungs-Methoden auf. „Und irgendwann kamen wir an einen Punkt, an dem wir die Diskrepanz nicht mehr auf Beobachtungsfehler schieben konnten – da wurde uns klar, dass die beiden Uhren höchstwahrscheinlich zwei verschiedene Dinge messen,“ so die Astrophysikerin.

Das Forschungsteam analysierte für die Studie sechs nahe gelegene und junge Sternenhaufen. Dabei zeigte sich, dass Zeitskala der eingebetteten Phase rund 5,5 Millionen Jahre beträgt und von der Masse des Sternen­haufens und der Menge der stellaren Rückkopplung abhängen könnte. Die Anwendung dieser neuen Technik auf andere junge und nahe der Sonne gelegenen Sternenhaufen verspricht neue Einblicke in die Stern­entstehung und das Auseinander­driften der Sterne, hofft Miret-Roig: „Unsere Arbeit ebnet den Weg für die zukünftige Forschung im Bereich der Stern­entstehung und bietet ein klareres Bild davon, wie sich Sterne und Sternhaufen entwickeln. Das ist ein wichtiger Schritt in unserem Bestreben, die Entstehung der Milchstraße und anderer Galaxien zu verstehen.“

U. Wien / JOL

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