Wann ist ein Molekül ein Molekül?
Dynamik des Ladungstransfers durch Elektronensprünge in explodierenden Molekülen mit ultrakurzen Röntgenblitzen untersucht.
Mit ultrakurzen Röntgenblitzen hat ein internationales Forscherteam Elektronensprünge in explodierenden Molekülen beobachtet. Die Untersuchung zeigt, bis zu welcher Entfernung ein Ladungstransfer zwischen den beiden Bruchstücken eines Moleküls stattfindet. Mit der verwendeten Technik lässt sich die Dynamik des Ladungstransfers bei einer großen Bandbreite von molekularen Systemen untersuchen, wie die Wissenschaftler um Benjamin Erk und Daniel Rolles von DESY und Artem Rudenko von der Kansas State University zeigen. Derartige Prozesse spielen bei zahlreichen chemischen Vorgängen eine Rolle, etwa bei der Photosynthese.
Abb.: Künstlerische Darstellung eines explodierenden Iodomethanmoleküls mit seinen Elektronen. (Bild: SLAC National Accelerator Laboratory)
„Ladungstransfer findet noch bis rund zur zehnfachen normalen Bindungslänge statt", berichtet Erk, der bei DESY am Freie-Elektronen-Laser FLASH und am Center for Free-Electron Laser Science (CFEL) forscht, einer Kooperation von DESY, Universität Hamburg und der Max-Planck-Gesellschaft. „Eine zentrale Frage lautet: Wann ist ein Molekül ein Molekül?", erläutert Rudenko die Motivation hinter der Untersuchung. „In diesem Fall also, bis zu welcher Entfernung teilen sich die Molekülbestandteile die Elektronen, ab welcher Distanz bricht der Ladungstransfer zwischen den beiden Molekülbruchstücken zusammen. Die von uns gemessene kritische Entfernung markiert den Übergang vom Molekül- zum atomaren Regime."
Für ihre Untersuchung beschossen die Wissenschaftler Iodomethan (CH3I), mit einem Infrarotlaser und zerbrachen so die Bindung der beiden Partner. „Mit Hilfe ultrakurzer Röntgenblitze, die Elektronen aus den inneren Schalen der Iod-Atome hinausschlugen, konnten wir anschließend beobachteten, wie sich die gemeinsamen Elektronen des zerbrechenden Moleküls zwischen den beiden Bruchstücken verteilten", berichtet Rolles, der eine Nachwuchsforschergruppe bei DESY leitet. Dazu nutzten die Forscher den zurzeit weltweit stärksten Röntgenlaser LCLS am US-Forschungszentrum SLAC National Accelerator Laboratory in Kalifornien.
„Wir haben den Röntgenblitz bei jedem Schritt etwas später dem Infrarot-Laserpuls hinterhergeschickt", erläutert Erk. Diese Verzögerung betrug zwischen wenigen Femtosekunden und einer Pikosekunde, also bis zu einer billionstel Sekunde. "Je später der Röntgenblitz kommt, desto weiter haben sich die beiden Molekülbestandteile bereits voneinander entfernt." Auf diese Weise gewannen die Wissenschaftler eine Serie von Aufnahmen, auf der sich die Wanderung der Elektronen bei immer größerem Abstand der Molekültrümmer beobachten lässt.
„Je weiter sich die Bruchstücke entfernen, desto stärker nimmt der Ladungstransfer ab", berichtet Erk. „Wir konnten bis zu einer Entfernung von rund 20 Ångström eine Elektronenwanderung zwischen den beiden Bruchstücken nachweisen." Die Bindungslänge von Iodomethan beträgt dagegen nur etwas mehr als 2 Ångström.
„Unsere Ergebnisse sind für eine Reihe von Systemen von Bedeutung", betont Rudenko. „So hat man etwa in der Astrophysik Röntgenstrahlung beobachtet, die von solchen Ladungstransferprozessen erzeugt wird. Derartige Prozesse spielen bei zahlreichen chemischen Vorgängen eine Rolle, etwa bei der Photosynthese oder in Solarzellen. Und in der Forschung haben Wissenschaftler, die mit Röntgenstrahlung Biomoleküle untersuchen, mit Strahlenschäden an ihren Proben zu kämpfen. Auch dabei sind die von uns untersuchten Vorgänge wichtig."
Diese ersten Ergebnisse schlagen zudem eine Brücke zwischen der Untersuchung des Ladungstransfers zwischen einzelnen Atomen und der Analyse des elektrischen Ladungsflusses in größeren Systemen wie sie in der Biologie und der Chemie häufig vorkommen. Weitere Messungen sollen helfen, den Prozess des Ladungstransfers im Detail zu verstehen.
DESY / CT