05.02.2021

Warme und dichte Materie besser berechnen

Neuronales Netzwerk erleichtert die Beschreibung des exotischen Materiezustands.

Der exotische Zustand der warmen dichten Materie stellt eine außer­gewöhnliche Heraus­forderung für Forscher dar, die ihn beschreiben wollen. Denn zum einen sind die vorherr­schenden Dichten für die Anwendung von gängigen Modellen der Plasmaphysik zu hoch. Zum anderen greifen auch die Modelle für kondensierte Materie nicht mehr, da die beteiligten Energien bereits zu groß dafür sind. Der Modellierung solcher komplexen Systeme hat sich ein Team um Tobias Dornheim, Attila Cangi, Kushal Ramakrishna und Maximilian Böhme vom noch jungen Zentrum für Systemforschung Casus in Görlitz verschrieben. Zusammen mit Jan Vorberger vom Institut für Strahlenphysik am HZDR und Shigenori Tanaka von der Kobe University in Japan haben sie eine neue Methode erarbeitet, mit der sich die Eigenschaften von warmer dichter Materie effizienter und schneller berechnen lassen.

Abb.: Atomstruktur und Elektronen­verteilung in warmer dichter Materie. (Bild:...
Abb.: Atomstruktur und Elektronen­verteilung in warmer dichter Materie. (Bild: A. Cangi)

„Mit unserem Algorithmus lässt sich die Lokalfeld­korrektur sehr genau berechnen. Sie beschreibt, wie die Elektronen in warmer dichter Materie miteinander wechselwirken und ermöglicht damit einen Zugang zu deren Eigenschaften. Diese Berechnung kann bei zukünftigen Röntgen­streuexperimenten zur Modellierung und Interpretation der Ergebnisse eingesetzt werden, aber auch als Grundlage für andere Simulations­verfahren. Das heißt, unsere Methode hilft dabei, die Eigenschaften warmer dichter Materie, wie Temperatur und Dichte, aber auch ihre Leitfähigkeit für elektrischen Strom oder Wärme und viele weitere Charak­teristika zu bestimmen“, erläutert Dornheim. „Die Motivation hinter der von uns entwickelten Methode ist, dass wir und viele Kollegen gerne wissen würden, wie sich Elektronen exakt unter dem Einfluss kleiner Störungen verhalten, etwa durch die Einwirkung eines Röntgenstrahls. Dazu kann man eine Formel herleiten, die aber so komplex ist, dass wir sie nicht mehr mit Stift und Zettel lösen können. Bisher hat man sich daher einer bestimmten Verein­fachung bedient, die aber bekannter­maßen einige wichtige physikalische Effekte nicht abbildet. Wir haben nun eine Korrektur eingeführt, die genau diesen Makel behebt.“

Für die Umsetzung wurden rechen­intensive Simulationen über Millionen Prozessor­stunden auf Großrechnern durchgeführt. Auf Grundlage dieser Daten und mit Hilfe ana­lytischer Methoden aus der Statistik trainierten die Wissen­schaftler ein neuronales Netzwerk, das die Wechsel­wirkung der Elektronen numerisch vorhersagen kann. Wie viel effizienter das neue Werkzeug ist, hängt von der jeweiligen Anwendung ab. „Generell können wir aber sagen, dass bisherige Verfahren bei hoher Genauigkeit tausende Prozessor­stunden benötigen, wohingegen unsere Methode nur Sekunden beansprucht“, sagt Attila Cangi. „Somit kann man nun einen Laptop zur Simulation verwenden, wo zuvor ein Supercomputer notwendig war.“

Zwar ist der vorgestellte Code vorerst aus­schließlich für die Elektronen in Metallen, zum Beispiel in Experimenten an Aluminium, anwendbar. Die Forscher arbeiten aber bereits an einem allgemein anwendbaren Code, der zukünftig bei verschiedensten Materialen unter sehr unter­schiedlichen Bedingungen Ergebnisse liefern soll. „Wir wollen unsere Erkennt­nisse in einen neuen Code einfließen lassen. Dieser soll quelloffen sein, anders als der bisherige Code, der durch seine Lizenzierung keine einfachen Anpassungen durch neue theoretische Kenntnisse zulässt“, erläutert Doktorand Maximilian Böhme, der dafür mit dem britischen Plasma­physiker Dave Chapman zusammenarbeitet.

Es gibt nur wenige Großlabore, an denen solche Röntgen­experimente zur Erforschung warmer dichter Materie möglich sind. Zu nennen sind hier der European XFEL bei Hamburg, aber auch die Linear Coherent Light Source (LCLS) am& Stanford Linear Acce­lerator Center (SLAC) an der Stanford University, die National Ignition Facility (NIF) am Lawrence Livermore National Labora­tory, die Z Machine an den Sandia National Laboratories oder der SPring-8 Angstrom Compact free electron LAser (SACLA) in Japan. „Wir stehen mit diesen Laboren in Kontakt und erwarten, aktiv an der Modellierung der Experimente teilnehmen zu können“, sagt Tobias Dornheim. Erste Experimente an der Helmholtz International Beamline for Extreme Fields (HIBEF) am European XFEL sind bereits in Vorbereitung.

HZDR / JOL

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