08.02.2023

Was treibt den Kosmos auseinander?

Neuer Ansatz zur Lösung des Rätsels der kosmologischen Konstante vorgestellt.

Das Universum hat etliche bizarre Eigenschaften, die mit dem alltäglichen Erfahrungsschatz nur schwer zu verstehen sind. So macht die uns bekannte Materie aus elementaren und zusammengesetzten Teilchen offenbar nur einen kleinen Teil der Energie des Weltalls aus. Den größten Beitrag liefert mit rund zwei Dritteln die Dunkle Energie. Die Dunkle Energie gilt als Treiber der beschleunigten Expansion. Darüber hinaus könnte sie zwei mächtige physikalische Denkgebäude verbinden: die Quanten­feld­theorie und die von Albert Einstein entwickelte Allgemeine Relativitäts­theorie. Doch die Sache hat einen Haken: Berechnungen und Beobachtungen zu diesem Konzept passten bislang bei Weitem nicht zusammen. Nun haben zwei Forscher aus Luxemburg einen neuen Weg aufgezeigt, wie sich dieses 100 Jahre alte Rätsel lösen lässt.

 

Abb.: Der kosmische Mikrowellen­hintergrund, gesehen vom Planck-Observatorium...
Abb.: Der kosmische Mikrowellen­hintergrund, gesehen vom Planck-Observatorium (Bild: ESA / the Planck Coll.)

„Das Vakuum besitzt eine Energie. Das ist ein grundlegendes Ergebnis der Quantenfeldtheorie“, erklärt Alexandre Tkatchenko, Professor für Theoretische Physik im Fachbereich Physik und Materialwissenschaften an der Universität Luxemburg. Diese Theorie wurde entwickelt, um Quantenmechanik und Spezielle Relativitätstheorie zusammenzuführen. Doch die Quantenfeld­theorie scheint nicht mit der Allgemeinen Relativitäts­theorie kompatibel zu sein. Ihr wesentliches Merkmal: Die Theorie betrachtet im Gegensatz zur Quanten­mechanik nicht nur Teilchen, sondern auch materie­lose Felder als Quantenobjekte. „Die Dunkle Energie betrachten viele Forscher in diesem Rahmen als Ausdruck der Vakuumenergie“, sagt Tkatchenko. Dies ist eine physikalische Größe, die in einem anschaulichen Bild durch ein ständiges Entstehen und die Wechsel­wirkung von Paaren aus Teilchen und ihren Antiteilchen – etwa Elektronen und Positronen – im eigentlich leeren Raum hervorgerufen wird.

Man nennt dieses Kommen und Gehen virtueller Teilchen und ihrer Quantenfelder auch Vakuum- oder Nullpunktfluktuationen. Während die Partikel­paare rasch wieder im Nichts vergehen, entspricht ihre Existenz einem gewissen Gehalt an Energie. „Diese Vakuumenergie hat auch in der Allgemeinen Relativitätstheorie eine Bedeutung“, stellt der Luxemburger Wissenschaftler fest: „Sie manifestiert sich in der von Einstein aus physikalischen Gründen in seine Gleichungen eingefügten kosmologischen Konstante.“

Anders als die Vakuumenergie, die sich nur aus den Formeln der Quantenfeldtheorie erschließt, lässt sich die kosmologische Konstante durch astrophysikalische Experimente direkt bestimmen. So haben Messungen mit dem Weltraumteleskop Hubble und der Raumfahrtmission Planck nahe beieinander liegende und verlässliche Werte für die fundamentalen physikalische Größe ergeben. Berechnungen der Dunklen Energie auf Basis der Quantenfeldtheorie hingegen liefern Resultate, die einem bis zu 10120-mal so großen Wert der kosmologischen Konstanten entsprechen – ein kolossales Missverhältnis, obwohl im heute vorherrschenden Weltbild der Physiker beide Werte gleich sein müssten. Die stattdessen festgestellte Diskrepanz ist bekannt als das „Rätsel der kosmologischen Konstante“. „Es ist zweifellos eine der größten Ungereimtheiten in der modernen Wissenschaft“, meint Alexandre Tkatchenko.

Gemeinsam mit seinem Luxemburger Forscherkollegen Dmitry Fedorov hat er nun die Lösung dieses seit Jahrzehnten offenen Rätsels ein bedeutendes Stück nähergebracht. In einer theoretischen Arbeit schlagen die beiden Luxemburger Forscher eine neue Interpretation der Dunklen Energie vor. Sie gehen davon aus, dass die Nullpunkt­fluktuationen eine Polarisierbar­keit des Vakuums bewirken, die sich sowohl messen als auch berechnen lässt. „Bei Paaren von virtuellen Teilchen mit entgegengesetzter elektrischer Ladung entsteht sie durch elektrodynamische Kräfte, die diese Partikel während ihrer äußerst kurzen Existenz gegenseitig aufeinander ausüben“, erklärt Tkatchenko. Die Physiker sprechen dabei von einer Vakuum-Selbstwechselwirkung. „Diese führt zu einer Energiedichte, die sich mithilfe eines neuen Modells bestimmen lässt“, sagt der Luxemburger Wissenschaftler.

Gemeinsam mit seinem Kollegen Fedorov hat er dieses grundlegende Modell für Atome entwickelt und 2018 erstmals vorgestellt. Das Modell diente ursprünglich zur Beschreibung atomarer Eigenschaften. Dazu gehört insbesondere die Beschreibung des Zusammenhangs der Polarisierbarkeit von Atomen mit den Gleichgewichtseigenschaften bestimmter Moleküle sowie Festkörper, wo die Atome nicht kovalent gebunden sind. Da die geometrischen Charakteristiken experimentell recht einfach messbar sind, lässt sich über die Formel der beiden Forscher auch die Polarisierbarkeit bestimmen. „Dieses Vorgehen haben wir auf die Vorgänge im Vakuum übertragen“, erläutert Fedorov. Dazu betrachteten die beiden Forscher das Verhalten von Quantenfeldern – insbesondere solchen, die das Entstehen und Verschwinden von Elektronen und Positronen repräsentieren. Die Fluktuationen dieser Felder lassen sich durch eine Gleichgewichts­geometrie kennzeichnen, die bereits aus Experimenten bekannt ist.

„Wir haben diese Geometrien in die Formeln unseres Modells eingesetzt und erhielten auf diese Weise letztlich die Stärke der intrinsischen Vakuum-Polarisation“, berichtet Fedorov. Der letzte Schritt war es, die Energiedichte der Selbstwechselwirkung zwischen Fluktuationen von Elektronen und Positronen quanten­mechanisch zu berechnen. Das so erhaltene Resultat stimmt gut mit den gemessenen Werten für die kosmologische Konstante überein: Das bedeutet: „Die Dunkle Energie lässt sich auf die Energie­dichte der Selbst­wechselwirkung von Quantenfeldern zurückführen“, betont Alexandre Tkatchenko.

„Unsere Arbeit bietet damit einen eleganten und unkonventionellen Lösungsansatz für das Rätsel der kosmologischen Konstante“, resümieren die beiden. „Darüber hinaus liefert sie eine überprüfbare Vorhersage: nämlich, dass Quanten­felder tatsächlich genauso wie Elektronen und Positronen eine zwar kleine, aber stets vorhandene intrinsische Polarisation besitzen.“ Diese Erkenntnis weist eine Richtung für künftige Experimente, um diese Polarisation auch im Labor nachweisen zu können, meinen die beiden Luxemburger Forscher. „Unser Ziel ist es, die kosmologische Konstante aus einem rigorosen quanten­theoretischen Ansatz heraus abzuleiten“, betont Dmitry Fedorov

„Zudem enthält unsere Arbeit ein Rezept, wie sich das verwirklichen lässt.“ Fedorov betrachtet die neuen Ergebnisse, die er gemeinsam mit Alexandre Tkatchenko erzielt hat, als ersten Schritt hin zu einem besseren Verständnis der Dunklen Energie – und ihrer Verbindung zu Albert Einsteins kosmologischer Konstante. Tkatchenko ist überzeugt: „Letztlich könnte das auch erhellen, auf welche Weise Quantenfeldtheorie und Allgemeine Reaktivitäts­theorie als zwei Betrachtungs­weisen des Universums und seiner Bestandteile miteinander verwoben sind.“

U. Luxemburg / DE

 

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