Wenn auf der Venus die Erde untergeht
Kolloid-Experimente geben Aufschluss über komplexe Subduktionszonen auf unserem Nachbarplaneten.
Erde und Venus sind sich in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich. Beide Planeten sind nicht nur Nachbarn, sondern besitzen auch eine vergleichbare Größe, Masse und Zusammensetzung. Sie besitzen aber auch gravierende Unterschiede. Am deutlichsten sichtbar ist dies an der Atmosphäre der beiden Planeten. Die Venus besaß vor Jahrmilliarden vermutlich ein erdähnliches Klima, machte dann aber einen explosiven Treibhauseffekt durch und ist seitdem ein äußerst unwirtlicher Planet. Auch geologisch gesehen zeigt die Venus deutliche Unterschiede zur Erde: Während unser Planet eine aktive globale Plattentektonik hat, ist diese auf der Venus schon vor langer Zeit zum Erliegen gekommen.
Abb.: Die Artemis-Corona auf der Venus besitzt eine komplexe innere Geologie, wie Radarmessungen zeigen. (Bild: A. Davaille et al.)
Es ist allerdings sehr schwierig, die geologische Geschichte der Venus nachzuvollziehen, da ihre Atmosphäre extrem dicht und mit Wolken aus Schwefelsäure verhangen ist, so dass Radardaten und Gravitationsmessungen die einzigen verlässlichen Quellen über die Topologie und die oberen Schichten der Lithosphäre liefern können. Die Auflösung dieser Daten beträgt aber nur rund ein bis zwei Dutzend Kilometer. Ein internationales Forscherteam um Anne Davaille von der Universität Paris Sud hat sich deshalb nun daran gemacht, im Rahmen einer größeren experimentellen Versuchsreihe einige ungewöhnliche Strukturen auf der Venus-Oberfläche aufzuklären. Damit wollen die Wissenschaftler eine Brücke zwischen den hochkomplexen Computermodellen und den topographischen Daten schlagen.
„Die Oberfläche der Venus hat in den letzten 300 bis 600 Millionen Jahren kaum Bewegung gezeigt”, sagt Davaille. „Subduktion scheint nur nur selten und sehr lokal aufzutreten.” Zwei Regionen, in denen Subduktion eine Rolle spielt, sind die „Artemis-Corona” und die „Quetzalpetlatl-Corona”. Coronae sind runde, von Grabenzonen durchzogene Gebiete, in denen auch vulkanische Aktivität und gravitative Anomalien auftreten. Während die Quetzalpetlatl-Corona jüngeren Datums zu sein scheint, besitzt die Artemis-Corona eine eindrucksvolle innere Struktur mit fünf kleineren Sub-Coronae.
Um zu testen, ob sich die Schwerkraft-Analysen und die Topologie dieser Coronae mit Subduktionsprozessen erklären lassen, simulierten die Forscher den oberen Mantel und die Lithosphäre in einem Tank. Angesichts planetarer Größenverhältnisse erscheint der Versuchsaufbau geraderzu winzig: Der gläserne Tank maß lediglich 15 Zentimeter Breite und Länge, bei einer Höhe von 5 Zentimetern. Gefüllt war er mit einer speziellen Kolloidmischung, die ähnliches Strömungsverhalten wie heißes Gestein aufweisen sollte. Die Lithosphäre simulierten die Forscher, indem sie die oberen Schichten ihres Gemischs bei den richtigen Parametern austrocknen ließen.
Während das Gemisch im Tank Raumtemperatur hatte, heizten es die Forscher an mehreren Stellen von unten mit bis zu achtzig Grad Celsius an, um so aufsteigende Mantel-Plume zu simulieren. „Es war keine leichte Aufgabe, ein Gemisch zu finden, das sowohl die Entstehung von Platten wie von Plumen und von Subduktion ermöglichte, und zwar ausschließlich durch Konvektion, ohne äußere Einwirkung”, sagt Davaille.
Tatsächlich zeigten sich Subduktionsprozesse, nachdem es ein heißer Plume geschafft hatte, sich durch dünne Kruste zu drücken. Zunächst strömte heißes Material an die Oberfläche. Dies lässt sich auf der Venus besonders gut an der Quetzalpetlatl-Corona nachvollziehen, wo Lavaströme bis zu 1500 Kilometer geströmt sind. Ist die Lavadecke schwer genug, bricht die Planetenkruste unter ihr weg und wird durch die ringsum abfallende Strömung nach unten gezogen. Diese Vorgänge, die im planetaren Maßstab Jahrmillionen dauern, ließen sich im Experiment innerhalb weniger Minuten nachvollziehen. Anscheinend sorgt auch die hohe Oberflächentemperatur der Venus dafür, dass keine Plattentektonik mehr auftritt. Denn die Lithosphäre der Venus kann Scherbrüche zügig „auskurieren”, so dass es gar nicht zur Bildung von Platten kommt.
Abb.: Diese aus zwölf Aufnahmen zusammengesetzte Seitenansicht des Kolloid-Experiments zeigt, wie aufsteigende heiße Mantel-Plume zu lokaler Subduktion führen. (Bild: A. Davaille et al.)
Diese Ergebnisse sind nicht allein für die Erforschung der Venus von Interesse. Zwar erscheint bei den heutigen Temperaturen im Erdmantel und der entsprechenden Tiefe der Lithosphäre auf unserem Planeten die Entstehung solcher Subduktionsprozesse schwierig. Auf der Venus liegen die Oberflächentemperaturen über 400 Grad höher; die Lithosphäre ist um rund vierzig Kilometer dünner. Im Archaikum, vor rund zweieinhalb bis vier Milliarden Jahren, lag aber auch auf der Erde die Manteltemperatur rund 200 Grad höher als heute und dementsprechend dünner war auch die Lithosphäre. Die heutige Venus könnte also durchaus ein Modell für die tektonischen Verhältnisse auf der frühen Erde sein. Mit einem noch besseren Verständnis dieser Zusammenhänge sollte sich auch die Möglichkeit für Plattentektonik auf Exoplaneten abschätzen lassen. Schließlich bringen solche tektonischen Prozesse neues Material zutage und sorgen so für ein Recycling der Planetenoberfläche. Wie es sich in neueren Forschungsarbeiten herauskristallisiert, könnte dies auch für die Entstehung und Erhaltung von Lebensformen wichtig sein.
Die Laborergebnisse lassen aber auch anderes ungewöhnliches tektonisches Verhalten erwarten „Die Plume-induzierte Subduktion ist nur einer von mehreren konvektiven Prozessen, die wir im Labor beobachten konnten”, fügt Davaille hinzu. Einige dieser Prozesse ließen sich noch nicht mit bekannten Strukturen auf Planeten in unserem Sonnensystem identifizieren. Sie könnten aber durchaus auf eisbedeckten Trabanten oder Exoplaneten auftreten.
Dirk Eidemüller
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