23.02.2018

Wenn Elektronen Wirbel machen

Verwirbelte Laserstrahlen boomen längst, doch seit Kurzem lassen sich auch frei fliegende Elektronenwirbel erzeugen.

In der Physik gibt es seit einigen Jahren einen Trend zum Wirbel, zum Beispiel in der Laserphysik. Laservortices mit Bahndrehimpuls könnten wie Schraubendreher Nanopartikel rotieren lassen.

Peter Schattschneider, Thomas Schachinger von der TU Wien und Johan Verbeeck, der inzwischen an die Universität Antwerpen gewechselt ist, stellen nun in Physik in unserer Zeit ein noch ganz junges Gebiet mit aufregendem Potenzial vor: Elektronenvortices. Wie optische Vortices tragen sie Bahndrehimpuls. Die Wiener Gruppe und Forscher vom japanischen RIKEN-Institut haben unabhängig voneinander die Grundlagen dieser elektronenmikroskopischen Experimentiertechnik entwickelt. Sie ermöglicht neue Einblicke auf dem Gebiet der Festkörper- und Materialforschung.

Grundsätzlich sind die Elektronenvortex-Strahlen gewissermaßen „verschraubte“ Lösungen einer quantenmechanischen Wellengleichung, der berühmten Schrödinger-Gleichung. Das brachte Masaya Uchida und Akira Tonomura vom RIKEN 2010 auf die Idee, mit Hilfe von geschichteten Graphitplättchen eine wendeltreppenartige Struktur herzustellen, die den sie durchdringenden Elektronenstrahl in sich verdreht. Schattschneiders Wiener Gruppe kam damals unabhängig auf die noch elegantere Idee, diesen Twist mit Hilfe eines Hologramms herzustellen. Sie entwickelten dazu Blenden mit Mikroschlitzen in der Form eines Hologramms, das eine Vortexlösung für den Elektronenstrahl darstellt, der durch die Blende zielt (Abbildung 1). Inzwischen wurde eine dritte Möglichkeit entwickelt, Elektronenwirbel zu erzeugen: Dabei zielt man mit dem Strahl auf die extrem feine Spitze einer magnetischen Nadel, die nur wenige Mikrometer lang ist. Aber wofür sind Elektronenwirbel einsetzbar?

Abb.1 Beim holografischen Prinzip überlagert man im Computer einen hypothetischen Vortex mit einer ebenen Referenzwelle (beide blau) und berechnet so ein Hologramm; b) das Hologramm wird als binäres Muster (Absorption oder Transmission) in eine dünne Metallblende geschnitten; c) beleuchtet man diese mit einer ebenen Referenzwelle im Elektronenmikroskop, entsteht am Ausgang ein Vortex mit Windungszahl 1 und Drehimpuls zugleich mit der konjugierten Welle, die eine Windungszahl -1 und einen Drehimpuls - trägt.

Der Knackpunkt ist der Bahndrehimpuls, der die Elektronen sozusagen zu Schraubendrehern der Elektronenmikroskopie macht. Vor allem: Da ein Elektronenmikroskop die Elektronenvortices auf atomare Dimensionen fokussieren kann, ähneln sie frei im Raum propagierenden Atomorbitalen – ohne irgendeinen zentralen Atomkern! Dadurch werden sie zu ganz neuen Werkzeugen mit vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten.

Eine Möglichkeit ist analog zu Laservortices die Manipulation von Nanopartikeln oder Elementen von Nanomaschinen. Ein anderes, sehr bedeutendes Gebiet ist die Untersuchung von Materialeigenschaften, die mit anderen Methoden nur schwer zugänglich sind, zum Beispiel die Ausrichtung lokaler Spins in magnetischen Materialien. Das ist zum Beispiel für die Entwicklung spintronischer Bauteile interessant, aber auch für die festkörperphysikalische Grundlagenforschung.

Schattschneider und seine Mitautoren stellen noch ein weiteres spannendes Gebiet vor: Da die Elektronen mit Bahndrehimpuls ganz frei durch den Raum fliegen und damit bestens der Untersuchung zugänglich sind, lassen sie sich auch als Modellsysteme für Elektronen verwenden, die in Festkörpern unter dem Einfluss starker Magnetfelder in Kreisbahnen einschwenken. Das klingt trivial, aber wegen der Quanteneffekte sind diese Elektronenbahnen in Festkörpern komplex und keinesfalls für alle Materialien gut verstanden. Bei diesen Überlegungen reicht der Blick sogar bis in die Astrophysik, denn an dem Modellsystem der Elektronenwirbel ließe sich vielleicht das Verhalten von Elektronen in den extremen Magnetfeldern untersuchen, wie sie auf Neutronensternen herrschen.

Die noch junge Entdeckung der Elektronenvortices könnte also noch für einige wissenschaftliche Wirbel sorgen.

Der vollständige, in Physik in unserer Zeit erschienene Artikel, steht bis zum Ende des Jahres hier zum freien Download zur Verfügung.

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