15.05.2020

Wer nicht sehen kann, muss fühlen

Prototyp einer elektrotaktilen, haptischen Mensch-Maschine-Schnittstelle entwickelt.

Ob Bordcomputer im Auto, Herd, Heizanlage oder Land­maschinen: Immer mehr Geräte werden nicht mehr mit Knöpfen und Schaltern, sondern über audiovisuelle Anzeigen, insbesondere über Touchscreens, bedient. Allerdings senden die meisten Displays ihre Informationen als Signale, die man sehen oder hören kann. Einer der grund­legendsten Sinne des Menschen, der Tastsinn, bleibt dagegen weitestgehend vernach­­lässigt. Dies macht die Bedienung von Geräten komplexer, das Wahrnehmungs- und Informations­­verarbeitungs­­vermögen des Menschen wird überlastet. In sicherheits­relevanten Situationen kann es dann schnell gefährlich werden.

Abb.: Gestaltung und Evaluation des elektro­taktilen Feedbacks im Rahmen einer...
Abb.: Gestaltung und Evaluation des elektro­taktilen Feedbacks im Rahmen einer Nutzer­studie zur Bedienung von medi­zinischen Geräten. (Bild: Bader, IKTD, U. Stuttgart)

Menschen ab dem 60. Lebensjahr sind mit dieser Problematik in besonderem Maße konfrontiert, sei es zu Hause oder unterwegs, zum Beispiel im Auto oder am Fahrkarten­automat. Denn Seh- und Hörvermögen lassen mit zunehmendem Alter nach, dazu kommt eine Abnahme der kognitiven Leistung. Beides beschleunigt die Überlastung. Vor diesem Hintergrund unter­suchen Forscher vom Institut für Konstruktions­technik und Technisches Design der Universität Stuttgart, wie der haptische Wahrnehmungskanal genutzt werden kann, um die Menschen altersgerecht zu entlasten. Das von der Deutschen Forschungs­gemeinschaft geförderte Projekt zielt auf die Gestaltung einer haptischen Mensch-Maschinen-Schnitt­stelle und setzt dabei auf eine elektro­taktile Touch-Bedien­oberfläche.

Hierbei wird der Touchscreen mit Hilfe elektro­statischer Felder kodiert, die eine Wechselwirkung mit den Wasser­molekülen im Finger erzeugen. Streicht man nun mit dem Finger über die Touch-Bedie­noberfläche, ändert sich die Reibung zwischen Touchscreen und Finger. Um zu untersuchen, wie die Nutzer die Felder wahrnehmen und darauf reagieren, wird auf einem Touchscreen ein Slider imple­mentiert und mit dem elektro­taktilen Feedback versehen. Untersucht wird dabei, ob die Probanden beispiels­weise eine Zunahme oder Abnahme des Feedbacks, eine Markierung an einer bestimmten Slider­position oder gar eine Skala durch elektro­taktile Kodierung wahrnehmen. Dazu wird die Position der elektro­statischen Felder, die Ausdehnung als auch die Intensität variiert.

Ziel ist die Gewinnung neuer Erkenntnisse, wie sich bestimmte Funktionen einer elektro­taktilen Touch-Bedien­oberfläche codieren lassen, um den immer größer werdenden Informations­fluss zu bewältigen. Dabei sollen multimodale Wege der Informations­übertragung den visuellen Wahrnehmungs­kanal insbesondere älterer Menschen durch unterstützende taktile Informations­übermittlung entlasten. Zudem sollen alters­bedingte senso­motorische Verluste, die bei Senioren oft auch die taktile Informations­verarbeitung beein­trächtigen, kompensiert werden, um eine komfortablere, effi­zientere und effektivere Mensch-Maschine-Interaktion zu gewähr­leisten. Um die verschiedenen taktilen Feedback­muster zu prüfen, wollen die Forscher im Frühsommer eine Nutzer­studie durchführen. Hierfür werden sowohl junge als auch ältere Menschen zur Teilnahme gesucht.

U. Stuttgart / JOL

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