16.06.2023

Wie atomare Leerstellen entstehen

Erzeugung einatomiger Leerstellen in hexagonalem Bornitrid untersucht.

Einzelne Lichtteilchen finden Anwendung in der Quanten­informations­verarbeitung, in Informations­netzen und in Sensoren. Sie können von Fehlern im Atomgitter des atomdünnen Isolators hexagonales Bornitrid ausgestrahlt werden. Als atomare Struktur, die dafür verantwortlich sein könnte, wurden fehlende Stickstoffatome vermutet. Allerdings ist es schwierig, diese kontrolliert zu entfernen. Ein Team an der Fakultät für Physik der Universität Wien hat nun mithilfe eines Raster­transmissions­elektronen­mikroskops im Ultrahochvakuum gezeigt, dass einzelne Atome tatsächlich heraus­geschleudert werden können.

 

Abb.: Einzelne Stickstoff-Leerstellen (dreieckiger dunkler Kontrast oben...
Abb.: Einzelne Stickstoff-Leerstellen (dreieckiger dunkler Kontrast oben links), die durch Elektronen­bestrahlung in hexagonalem Bornitrid erzeugt wurden. Aufnahme mit dem Raster­trans­missions­elektronen­mikroskop. (Bild: T. Susi / U. Wien)

Die Transmissions­elektronen­mikroskopie ermöglicht es, die atomare Struktur von Materialien sichtbar zu machen. Sie eignet sich besonders gut dazu, etwaige Fehler im Atomgitter der Materialprobe direkt aufzudecken, die je nach Anwendung schädlich oder nützlich sein können. Allerdings kann der energiereiche Elektronen­strahl die Struktur auch beschädigen, entweder durch elastische Stöße oder elektronische Anregungen, oder eine Kombination aus beidem. Außerdem können Gase, die im Vakuum des Geräts verbleiben, zur Schädigung beitragen, indem aufgespaltene Gasmoleküle Atome des Gitters wegätzen. Bisher wurden Messungen mit dem Transmissions­elektronen­mikroskop an hexagonalem Bornitrid (hBN), einer Bor-Stickstoff-Verbindung, unter relativ schlechten Vakuumbedingungen durchgeführt, was auch zu einer schnellen Schädigung führte. Aufgrund all dieser Einschränkungen war bisher nicht klar, ob Leerstellen – einzelne fehlende Atome – im Bor-Stickstoff-Gitter kontrolliert erzeugt werden können.

Forschern der Universität Wien gelang nun die Erzeugung einatomiger Leerstellen mit Hilfe der aberrations­korrigierten Raster­transmissions­elektronen­mikroskopie im nahezu Ultrahochvakuum. Das Material wurde mit einer Reihe von Elektronenstrahl-Energien bestrahlt: Bei niedrigen Energien ist die Schädigung drastisch langsamer als bei schlechterem Vakuum. Bei mittleren Elektronen­energien können einzelne Bor- und Stickstoff­leerstellen erzeugt werden, wobei Bor-Atome aufgrund ihrer geringeren Masse doppelt so wahrscheinlich herausgeschleudert werden. Atomar genaue Messungen sind zwar nicht möglich bei den höheren Energien, die bisher verwendet wurden, um hBN dazu zu bringen, einzelne Licht­teilchen auszustrahlen. Jedoch sagen die aktuellen Ergebnisse voraus, dass sich hierbei Stickstoff wiederum leichter ausstoßen lässt – sodass die leuchtenden Leerstellen bevorzugt erzeugt werden können.

Robuste Statistiken, die durch akribische experimentelle Arbeit gesammelt wurden, kombiniert mit neuen theoretischen Modellen, waren für diese Schluss­folgerungen entscheidend. Die Erstautorin Thuy An Bui hat seit ihrer Masterarbeit an dem Projekt gearbeitet: „Bei jeder Elektronen­energie musste ich viele Tage am Mikroskop verbringen und sorgfältig eine Datenreihe nach der anderen sammeln“, sagt sie. „Sobald die Daten gesammelt waren, nutzten wir maschinelles Lernen, um sie genau zu analysieren, aber auch das erforderte viel Arbeit.“ Der leitende Autor Toma Susi fügt hinzu: „Um den Schadens­mechanismus zu verstehen, haben wir ein Näherungs­modell erstellt, das Ionisierung und Knock-on-Schäden kombiniert. Dies ermöglichte es uns, auf höhere Energien zu extrapolieren und ein neues Licht auf die Entstehung von Gitterfehlern zu werfen.“

Trotz seiner isolierenden Eigenschaften zeigen die Ergebnisse, dass einlagiges hexagonales Bornitrid unter Elektronenbestrahlung erstaunlich stabil ist, wenn chemisches Ätzen verhindert werden kann. In Zukunft könnte es möglich sein, mit Hilfe der Elektronen­bestrahlung gezielt Leerstellen zu erzeugen, die einzelne Licht­teilchen ausstrahlen, indem die gewünschten Gitterplätze selektiv mit einer fokussierten Elektronen­sonde bestrahlt werden. Neue Möglichkeiten der atomar präzisen Manipulation, die bisher für Verunreinigungsatome in Graphen und in massivem Silizium demonstriert wurden, könnten ebenfalls ans Licht gebracht werden.

U. Wien / DE

 

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