Wie ein Molekülstau die Zellteilung beeinflusst
Biophysiker entwickeln Modell zur Beschreibung der Dynamik von molekularen Motoren.
Zelluläre Prozesse sind sehr komplex und werden seit langem in interdisziplinären Projekten erforscht, unter anderem von Biologen und Physikern. Mit einem der zahlreichen Teilaspekte rund um das Leben einer Zelle befasst sich auch die Arbeitsgruppe von Erwin Frey, Professor für Statistische und Biologische Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Mitglied des Exzellenzclusters Nanosystems Initiative Munich (Nim).
Abb.: Weil die Motorproteine nicht „die Spur wechseln“ wirkt das Mikrotubuli-Skelett effektiv als sei es eindimensional. (Bild: L. Reese, Biophys. J.)
Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern Anna Melbinger und Louis Reese untersucht der Wissenschaftler, wie molekulare Motoren mit dem Gerüst der Zelle zusammenarbeiten, dem Zytoskelett. Das Zytoskelett besteht aus vielen faserförmigen Strukturen, den Mikrotubuli. Die Motoren oder Motorproteine bewegen sich entlang dieser Filamente und transportieren zum einen große Makromoleküle durch die Zelle. Zum anderen können sie, am Ende der Mikrotubuli sitzend, als Signal- oder Regulationsmoleküle wirken. Anhand eines theoretischen Modells, das Stauphänomene berücksichtigt, konnten die Biophysiker nun zeigen, dass ein Stau von Motorproteinen auf einem Mikrotubulus die Abbauaktivität der Motoren gravierend beeinflußt.
Entscheidend ist dabei, wie viele Motorproteine sich in der umgebenden Lösung (dem Zytosol) befinden. Ab einer bestimmten kritischen Konzentration von Motoren bilden sich Staus an der Spitze des Mikrotubulus. Sobald ein Motor dort seine Abbauarbeit getan hat, diffundiert er mit dem abgelösten Mikrotubulus-Baustein in die Lösung. Durch den Stau an Motorproteinen ist aber sofort Nachschub zur Stelle. So ist dann für die Abbaurate alleine die Geschwindigkeit entscheidend, mit der das einzelne Motorprotein den Mikrotubulus abbaut.
Ganz anders sieht es aus, wenn deutlich weniger Motorproteine in der Lösung vorhanden sind. In diesem Fall wird der Nachschub an Motorproteinen zum begrenzenden Faktor. Die Abbaugeschwindigkeit richtet sich dann nur noch danach, wie schnell und wie viel Nachschub an Motoren zum Mikrotubulus-Ende kommt. Somit entwickelt das Kollektiv der Motorproteine bei niedriger Konzentration eine ganz andere Abbaudynamik als bei höherer Konzentration. „Aufgrund bestehender Experimente wussten wir, dass diese kollektiven Effekte im System wichtig sind. Aber überrascht hat uns, dass die Eigenschaften der einzelnen Moleküle dabei zurücktreten“ berichtet Louis Reese.
Mit ihren Berechnungen tragen die Münchner Physiker dazu bei, dass bestehende Experimente zum Abbau der Mikrotubuli besser verstanden werden. Ein interessantes Phänomen, das seit einiger Zeit diskutiert wird, ist zudem, dass die Abbaugeschwindigkeit von der Länge der Mikrotubuli abhängt. Grund dafür ist die Ansammlung von Motoren entlang des Filaments: Je länger der Mikrotubulus, desto mehr Motorproteine können daran binden. Das theoretische Modell der Münchner Physiker erklärt die grundlegenden funktionellen Eigenschaften in diesem System. Auf diese Weise setzt es die existierenden experimentellen Ergebnisse in einen größeren Zusammenhang.
„Mit dieser Arbeit spielen wir Theoretiker den Ball zurück an die Experimentatoren“, meint Erwin Frey. „Solche minimalen funktionellen Einheiten zu identifizieren und zu begreifen ist essentiell für das Verständnis von biologischen Systemen. Dabei spielt die Zelle mit ihren zahlreichen Funktionen und Bausteinen die zentrale Rolle. Sie zu verstehen ist ein erklärtes Ziel von Biologie und Biophysik“.
LMU / PH