23.08.2023 • Fluiddynamik

Wie schreibt man im Wasser?

Verfahren ordnet Tintenpartikel im Wasser zu Linien und Buchstaben an.

Schreiben ist eine uralte Kulturtechnik – bereits vor mehreren tausend Jahren meißelten Menschen Schrift­zeichen in Steinplatten. Zwar hat sich das Schriftsystem seither perfektioniert, doch ist eines geblieben: Sowohl die Keilschrift als auch die heutige Schrift nutzen feste Oberflächen, um die Schriftzeichen festzuhalten, also etwa Steintafeln oder Papier. Aber wie, so überlegten Wissen­schaftler der Uni Mainz, der TU Darmstadt und der Uni Wuhan in China, schreibt man im Wasser? Vielleicht in drei Dimensionen und nicht nur in zweien wie auf Papier? Taucht man einen Füller ins Wasser, um ein Wort zu schreiben, so entstehen Wirbel und die Schriftspur verwischt sofort. Doch wie die Reynolds-Zahl angibt, sinkt die Zahl der entstehenden Wirbel, je kleiner das sich bewegende Objekt ist. Allerdings bräuchte man bei einem winzigen Stift wiederum ein großes Reservoir an Tinte, das die Vorteile des kleinen Schreibers zunichte­machen würde.

Abb.: Im Wasser ge­schrie­bene Schrift­züge (Skalen­leiste 250...
Abb.: Im Wasser ge­schrie­bene Schrift­züge (Skalen­leiste 250 Mikro­meter; Bild: T. Pal­berg, JGU Mainz / B. Lieb­chen, TU Darm­stadt)

Das Forscherteam wählte daher einen anderen Weg, um dieses grundsätzliche Hindernis zu umgehen. „Wir geben die Tinten­partikel direkt ins Wasser und nutzen als Stift ein zwanzig bis fünfzig Mikrometer großes Kügelchen aus Ionen­tauscher-Material“, erläutert Thomas Palberg von der Uni Mainz. Dieses Kügelchen ist klein genug, um keinerlei Wirbel zu erzeugen. Der Clou: Das Kügelchen tauscht das Restsalz des Wassers gegen Protonen aus und ändert somit lokal den pH-Wert des Wassers. Wird das Kügelchen über den Boden eines Wasserbads gerollt, hinterlässt es eine unsichtbare Spur niedrigen pH-Werts. Diese zieht wiederum die Tinten­partikel an – der von der Schreibkugel zurück­gelegte Weg wird mit Tinte markiert und man erhält eine feine Linie von nur wenigen Hundertstel Millimetern Breite im Bereich des jeweilig niedrigsten pH-Wertes.

Um einen Buchstaben im Wasser zu schreiben, reicht es, das Wasserbad so zu kippen, dass die Kugel den entsprechenden Weg rollt. „Für die ersten Versuche haben wir das Wasserbad händisch bewegt, später haben wir eine program­mier­bare Wippe konstruiert“, erläutert Palberg. „So haben wir in einem Wasserbad von der Größe einer Ein-Euro-Münze beispiels­weise das Haus vom Nikolaus gemalt – so groß, wie der i-Punkt einer 18-Punkt-Schrift – und dieses mit dem Mikroskop angesehen“, sagt Palberg. „Das ist aber nur ein erster Schritt.“

Das Schreiben in einer durch­gehenden Linie beliebiger Form funktioniert gut repro­du­zierbar, wie auch begleitende Simula­tionen bestätigen. Unter­brechungen des Schriftzugs, wie sie zwischen verschiedenen Buchstaben bestehen, lassen sich ebenfalls realisieren. Beispiels­weise, indem der Ionen­tausch­vorgang durch Belichtung gezielt an- und ausgeschaltet wird. Auch Radieren und Korrigieren sind bereits möglich.

Benno Liebchen und Lukas Hecht von der TU Darmstadt entwickelten ein theoretisches Modell, das den Mechanismus, der das Schreiben in Wasser ermöglicht, erklärt. Die zugehörigen Simulationen hätten gezeigt, dass der Mechanismus generisch sei und daher in Zukunft auf viele verschiedene Arten realisiert werden könne, sagt Liebchen. „Als Stift kommen neben Ionen­tauscher-Kugeln zum Beispiel auch Teilchen, die von Laserlicht erhitzt werden, oder sogar individuell gesteuerte Mikro­schwimmer infrage“, erklärte er. „Das könnte ein hochgradig paralle­li­siertes Schreiben in Wasser ermöglichen. Der Mechanismus kann in Zukunft zum Beispiel genutzt werden, um selbst kompli­zier­teste Konzen­tra­tions­muster in Flüssig­keiten zu erzeugen.“

Die theoretischen Berechnungen zeigen insbesondere, dass diese neue Art des Schreibens keineswegs an die Bodenfläche eines Wasserglases gebunden ist. Vielmehr handelt es sich um einen ganz generellen Effekt. Alles, was es braucht, damit die Linien für einige zehn Minuten gut sichtbar bleiben, ist ein schneller Transport der Tinte zu einer geschriebenen Spur und Auswaschung, die nur auf Diffusion basiert. Unter Verwendung UV-empfind­licher, klebriger Tinte ließe sich sogar eine noch längere Fixierung von Schriftzügen erreichen.

Durch weiteren Austausch von Komponenten – etwa Stift, Art der Spur, Tinte oder Steuerung – lassen sich in Zukunft vielerlei Varianten realisieren. So ist beispiels­weise denkbar, fluores­zierende Tinte oder mehrere sehr leichte Schreibkugeln zu benutzen, die sich dann mit Laserpinzetten in drei Dimensionen durch das Wasser bewegen lassen. Auf diese Weise könnten nicht nur selbst­leuchtende Schriftzüge platziert, sondern auch Flüssig­keiten drei­dimen­sional strukturiert werden. „Der Ansatz ist sehr robust und extrem modular“, bestätigt Palberg, „und lässt sich in die ver­schie­densten Richtungen optimieren.“

JGU Mainz / RK

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