21.04.2016

Wie Zellen zusammen arbeiten

Dynamik von Zellen lässt sich mit neuen interdisziplinären Simulationen vorhersagen.

Für die Erforschung zellulärer Prozesse haben Wissenschaftler der Universität Heidelberg ein spezielles mathematisches Modell entwickelt: Mithilfe einer darauf auf­bauenden Software können sie simulieren, wie sich größere Ansammlungen von Zellen auf vorgegebenen geometrischen Strukturen verhalten. Unterstützt wird damit die Auswertung mikro­skopischer Beobachtungen des Zellverhaltens auf strukturierten Unterlagen. Ein Beispiel dafür ist ein Modell für Wund­heilung, in dem Hautzellen eine Lücke schließen müssen. Ein weiterer Anwendungs­bereich liegt im Hoch­durchsatz-Screening für Medikamente, bei dem automatisch entschieden werden muss, ob ein bestimmter Wirkstoff das Zell­verhalten verändert. Daran arbeiten die Forscher Ulrich Schwarz und Philipp Albert, die sowohl am Institut für Theoretische Physik als auch am Bioquant-Zentrum der Universität Heidelberg tätig sind.

Abb.: Nach Computersimulationen können Hautzellen auf einer strukturierten Unterlage, die eine Wunde simuliert, Lücken bis zu einer Größe von etwa 200 Mikrometern als Ensemble überbrücken. (Bild: P. Albert)

Eines der wichtigsten Fundamente der modernen Lebens­wissenschaften ist es, Zellen außerhalb des Körpers zu kultivieren und mit Mikroskopie­verfahren beobachten zu können. Auf diese Weise lassen sich zelluläre Prozesse viel genauer analysieren als im Körper. Dabei treten jedoch spezifische Probleme auf. „Wer biologische Zellen schon einmal unter dem Mikroskop beobachtet hat, weiß, wie unberechenbar ihr Verhalten sein kann. Auf einer herkömmlichen Kultur­schale fehlt ihnen, anders als in ihrer natürlichen Umgebung im Körper, die ,Orientierung‘. Deshalb lassen sich aus ihrer Form und Bewegung bei bestimmten Frage­stellungen der Forschung keine Regel­mäßigkeiten ableiten“, erläutert Schwarz. Um mehr über das natürliche Verhalten der Zellen lernen zu können, setzen die Forscher daher auf Methoden aus den Material­wissenschaften. Die Unterlage zur mikroskopischen Untersuchung wird dabei so strukturiert, dass sie Einfluss auf die Regelmäßigkeit von Zellform und Zell­bewegung hat. Dazu werden, so der Heidelberger Physiker, mit bestimmten Druck­verfahren Proteine in geometrisch wohl­definierten Bereichen der Unterlage angebracht. Das Zell­verhalten kann man dann mit den üblichen Mikroskopie­verfahren beobachten und ausgewerten.

Die Arbeitsgruppe von Ulrich Schwarz hat sich zur Aufgabe gemacht, das Verhalten von biologischen Zellen auf strukturierten Unterlagen mathematisch zu beschreiben. Derartige Modelle sollen es möglich machen, das Zell­verhalten umfassend und quantitativ zu berechnen. Philipp Albert hat dafür ein aufwändiges Computer­programm entwickelt, das alle wesentlichen Eigenschaften von Einzelzellen und ihrer Wechsel­wirkung berücksichtigt und vorhersagen kann, wie sich auch größere Ansammlungen von Zellen auf den vorgegebenen geometrischen Strukturen verhalten. „Aus dem Zusammen­spiel mehrerer Zellen entstehen oft überraschende und neuartige Verhaltens­muster wie die Bildung von Strömungen, Wirbeln und Brücken. Wie auch in physikalischen Systemen, etwa Flüssig­keiten, ist hier das Ganze mehr als die Summe der Teile. Unser Software-Paket kann ein solches Verhalten in sehr kurzer Zeit berechnen“, betont Albert. Seine Computer­simulationen zeigen zum Beispiel, dass Hautzellen Lücken in einem Wundmodell als Ensemble überbrücken können, allerdings nur bis zu einer Größe von etwa 200 Mikrometern.

Eine weitere vielversprechende Anwendung, die die Arbeits­gruppe von Holger Erfle am BioQuant-Zentrum verfolgt, liegt im Bereich des Hoch­durchsatz-Screenings von Zellen. Dabei werden roboter­gesteuerte Anlagen verwendet, um automatisch pharmakologische oder genetische Tests mit vielen verschiedenen Wirk­stoffen durch­zuführen. Sie sollen zum Beispiel neue Arzneimittel gegen Viren oder für die Krebs­therapie identifizieren. Mithilfe des neuen Programms lässt sich jetzt vorhersagen, welche Geometrien für einen bestimmten Zelltyp am besten geeignet sind. Dabei kann die Software auch aufzeigen, welche unter dem Mikroskop beobachteten Änderungen im Zell­verhalten überhaupt erst von Bedeutung sind.

Die Forschungsarbeiten wurden von 2011 bis 2015 von der Europäischen Gemein­schaft im Rahmen des Programms „Micropattern-Enhanced High Throughput RNA Interference for Cell Screening“ (MEHTRICS) gefördert. Neben dem BioQuant-Zentrum waren an diesem Konsortium auch Forscher­gruppen aus Dresden sowie aus Frankreich, der Schweiz und Litauen beteiligt. Die Arbeiten wurden mit insgesamt 4,4 Millionen Euro unterstützt.

U. Heidelberg / DE

EnergyViews

EnergyViews
Dossier

EnergyViews

Die neuesten Meldungen zu Energieforschung und -technologie von pro-physik.de und Physik in unserer Zeit.

Weiterbildung

Weiterbildungen im Bereich Quantentechnologie
TUM INSTITUTE FOR LIFELONG LEARNING

Weiterbildungen im Bereich Quantentechnologie

Vom eintägigen Überblickskurs bis hin zum Deep Dive in die Technologie: für Fach- & Führungskräfte unterschiedlichster Branchen.

Meist gelesen

Themen