Wo steckt der Stickstoff?
Ammoniumsalze könnten das Rätsel um die Häufigkeit des Elements auf Kometen beantworten.
Berner Forscher unter der Leitung der Astrophysikerin Kathrin Altwegg haben eine Erklärung gefunden, warum in der nebulösen Hülle von Kometen bislang wenig Stickstoff nachgewiesen werden konnte: der Lebensbaustein tritt zu einem großen Teil in Form von Ammonium-Salzen auf, deren Vorkommen man bisher nicht messen konnte. Die Salze können ein weiterer Hinweis darauf sein, dass Kometeneinschläge Leben auf der Erde überhaupt erst möglich gemacht haben.
Vor mehr als dreißig Jahren flog die europäische Kometenmission Giotto am Kometen Halley vorbei. An Bord war das Berner Ionenmassenspektrometer IMS, das von Hans Balsiger geleitet wurde. Eine wichtige Erkenntnis der Messungen dieses Instruments war, dass in der der Koma von Halley scheinbar Stickstoff fehlt. Stickstoff wurde zwar in Form von Ammoniak (NH3) und Blausäure (HCN) entdeckt, aber die Häufigkeit war weit von der erwarteten kosmischen Häufigkeit entfernt. Mehr als dreißig Jahre später und dank eines glücklichen Zufalls sind die Forscher der Lösung dieses Rätsels auf die Spur gekommen – dank der Auswertung von Daten des Berner Massenspektrometers Rosina, welches an Bord der ESA-Raumsonde Rosetta Daten des Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko, kurz „Tschuri“ genannt, gesammelt hatte.
Weniger als einen Monat vor Ende der Rosetta-Mission befand sich die Raumsonde nur 1,9 Kilometer über der Oberfläche von Tschuri, als sie durch eine Staubwolke des Kometen flog. Dies führte zu einem direkten Einschlag von Staub in die Ionenquelle des von der Universität Bern geleiteten Massenspektrometers Rosina-DFMS (Rosetta Orbiter Sensor for Ion and Neutral Analysis-Doppel-Fokussierendes Massenspektrometer). Kathrin Altwegg, die leitende Forscherin von Rosina, sagt: „Dieser Staub hat beinahe unser Instrument zerstört und Rosettas Lageregelung verwirrt.“
Dank dem Flug durch die Staubwolke konnten Substanzen festgestellt werden, die normalerweise in der kalten Umgebung des Kometen auf den Staubkörnern verbleiben und deswegen nicht gemessen werden können. Die Menge von zum Teil vorher nie bei einem Kometen gemessenen Molekülen war erstaunlich. Insbesondere war die Häufigkeit von Ammoniak, der chemischen Verbindung von Stickstoff und Wasserstoff mit der Formel NH3, plötzlich um ein Vielfaches größer.
„Wir kamen auf die Idee, dass die Häufigkeit von Ammoniak in den Rosina-Daten möglicherweise auf das Vorkommen von Ammonium-Salzen zurückzuführen sein könnte“, erklärt Altwegg. „Als Salz hat Ammoniak eine viel höhere Verdampfungstemperatur als das Eis und ist deshalb in der kalten Umgebung des Kometen meist in der festen Form vorhanden, die man bis jetzt weder durch Fernerkundung mit Teleskopen noch vor Ort messen konnte.“
Ausgedehnte Laborarbeiten waren nötig, um die Präsenz dieser Salze im kometären Eis nachzuweisen. „Das Rosina-Team hat Spuren von fünf verschiedenen Ammonium-Salzen gefunden: Ammoniumchlorid, Ammoniumcyanid, Ammoniumcyanat, Ammoniumformat und Ammoniumacetat“, sagt die Chemikerin im Rosina-Team Nora Hänni. „Bislang war das scheinbare Fehlen von Stickstoff bei Kometen ein Rätsel. Unsere Studie zeigt nun, dass sehr wohl Stickstoff bei Kometen vorhanden ist, nämlich in der Form von Ammonium-Salzen“, so Hänni weiter.
Unter den entdeckten Ammoniumsalzen sind einige astrobiologisch relevante Moleküle, die zum Aufbau von Harnstoff, Aminosäuren, Adenin und Nukleotiden führen können. Kathrin Altwegg sagt: „Dies ist durchaus ein weiterer Hinweis, dass Kometeneinschläge mit der Entstehung von Leben auf der Erde verknüpft sein könnten.“
U. Bern / DE