11.04.2019

Zellen nach Härte trennen

Attraktoren in gewellten Mikrokanälen ermöglicht Sortierung kranker und gesunder Blut- und Körperzellen.

Bei zahlreichen Krankheiten wie Malaria oder Krebs unterscheiden sich kranke und gesunde Blut- und Körperzellen durch ihren Härtegrad. Durch einen neuen physikalischen Effekt lassen sie sich leicht voneinander trennen. Dabei sorgen Strömungen in Mikrokanälen dafür, dass sich von selbst härtere von weicheren Zellen trennen. Dies hat jetzt ein internationales Forschungsteam unter der Leitung des Bayreuther Physikers Walter Zimmermann entdeckt. 
 

Abb.: Verteilung von Teilchen in einem Mikrokanal mit geradlinigen (oben) und...
Abb.: Verteilung von Teilchen in einem Mikrokanal mit geradlinigen (oben) und mit welligen Seitenwänden (unten; Bild: C. Göppner)

Mikrokanäle haben winzige Durchmesser zwischen zehn und 500 Mikrometern. Wenn Blutzellen, Körperzellen oder weiche Kapseln in der Strömung einer wässrigen Flüssigkeit durch Mikrokanäle mit geradlinigen Seitenwänden hindurchgeleitet werden, werden sie durch die Strömung in eine Drehbewegung versetzt. Dadurch bewegen sie sich auf die Kanalmitte wie auf eine imaginäre Anziehungslinie („Attraktor“) zu. An dieser Linie wandern dann alle Teilchen – unabhängig von ihrer Härte oder Größe – entlang. 

Forschergruppen der Universitäten Bayreuth und Grenoble haben schon vor einigen Jahren die Erklärung für dieses Phänomen gefunden: Entscheidend ist dabei, dass die weichen Teilchen ihre Form unter dem Einfluss der Druck- und Strömungsverhältnisse im Kanal ändern. „Wir waren daher neugierig darauf, wie sich weiche Teilchen verhalten, wenn sie in Strömungen durch Mikrokanäle mit welligen Wänden wandern. Diese Kanäle haben eine symmetrische Form, weil sie eine gerade Längsachse haben, während ihr Durchmesser abwechselnd kleiner und größer wird. Zuvor war noch nie untersucht worden, wie sich die Wanderungsbewegungen von Teilchen unter diesen Verhältnissen ändern“, berichtet Zimmermann.

Ein neues Projekt der beiden Forschergruppen in Bayreuth und Grenoble sowie des Forschungszentrums Jülich führte jetzt zu überraschenden Resultaten: In den Kanälen mit gewellten Seitenwänden entsteht nicht nur eine Anziehungslinie in der Kanalmitte, sondern es bilden sich außerdem zwei weitere Anziehungslinien. Diese befinden sich zwischen der Kanalmitte und den beiden Seitenwänden und verlaufen parallel zu den Seitenwänden ebenfalls wellenförmig. Weichere Kapseln bewegen sich in der Strömung zur Kanalmitte und wandern auf dieser Längsachse voran. Härtere Kapseln dagegen schwenken auf die wellenförmigen Anziehungslinien ein. 

„Aufgrund dieser grundlegenden physikalischen Entdeckung wollten wir herausfinden, ob sich daraus Anwendungen für die Medizin ableiten lassen, und haben das Verhalten von härteren und weicheren roten Blutzellen untersucht“, sagt Winfried Schmidt, Doktorand im Elitestudienprogramm Biological Physics in Bayreuth. Denn es gibt zahlreiche Krankheiten, wie etwa Malaria, Krebs oder Diabetes mellitus, die dazu führen, dass sich die Härte von Zellen verändert. Je nach Erkrankung, sind kranke Zellen entweder härter oder weicher als gesunde Zellen. Wie sich herausstellte, lassen sich in allen diesen Fällen kranke und gesunde Zellen mit demselben einfachen Verfahren trennen: Sie wandern im Mikrokanal zu unterschiedlichen Anziehungslinien und können am Ende des Kanals getrennt eingesammelt werden. So lassen sich voraussichtlich Rückschlüsse auf den Schweregrad und auf weitere Merkmale einer Erkrankung ziehen.

Weitere Anwendungspotenziale ergeben sich daraus, dass nicht nur härtere und weichere, sondern auch größere und kleinere weiche Teilchen auf diese Weise getrennt werden können: Kleinere Teilchen bewegen sich auf der Längsachse voran, größere auf den welligen äußeren Anziehungslinien.

Die jetzt veröffentlichten Erkenntnisse zeigen beispielhaft, wie stark die physikalische Grundlagenforschung durch moderne Computer und Großrechner vorangetrieben wird. „Unsere Resultate haben wir durch theoretische Überlegungen und Berechnungen sowie durch Computersimulationen erzielt“, sagt Erstautor Matthias Laumann, Physik-Doktorand an der Universität Bayreuth. „Wir würden uns freuen, wenn unsere Publikation Experimente anregt, in denen andere Forschungsgruppen weitere spannende Anwendungspotenziale in und außerhalb der Medizin entdecken“, ergänzt Zimmermann.

U. Bayreuth / DE
 

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